Was Uhren so alles drin haben und draufhaben
Komplikationen von Armbanduhren – Zweiter Teil
Hallo zusammen und willkommen zurück, zu einer weiteren Ausgabe der sechsteiligen Reihe „Zum Uhrenkenner in sechs Schritten“. In jeder der Ausgaben lernt ihr das, was ihr wissen müsst, um Schritt für Schritt in die spannende Materie der Luxusuhren einzutauchen.
Mein Name ist Severin vom Juwelier ALTHERR und ich begleite euch auf dieser Reise. In Zuge der Kooperation zwischen dem Gentleman-Blog und dem Juwelier ALTHERR entstehen insgesamt sechs Ausgaben, die das Thema Luxusuhren nacheinander erarbeiten.
Am Ende seid ihr über Geschichten, Marken, Komplikationen, Arten von Uhren und die Philosophien des Sammelns bestens informiert. Deswegen empfehle ich euch unbedingt, die vorhergegangenen Ausgaben zu lesen – die letzte gab euch eine erste Einführung in die Welt der Komplikationen, die wir heute gemeinsam erweitern wollen!
Nun wünsche ich euch viel Spaß.
Komplikationen – Zweiter Teil
In der vorangegangenen Ausgabe habe ich euch eine erste Einführung in die Welt der Komplikationen gegeben. Heute wollen wir gemeinsam die etwas spektakuläreren und unregelmäßiger anzutreffenden Finessen innerhalb einer mechanischen Armbanduhr behandeln. Es sei vorweggesagt, dass wir bei ALTHERR einige der aufgeführten Komplikationen nicht im Sortiment führen, weshalb die heutige Ausgabe weniger bebildert ist.
Der Jahreskalender
Ähnlich dem herkömmlichen Kalender (siehe Ausgabe 3) handelt es sich beim Jahreskalender um eine Komplikation, welche das Anzeigen des aktuellen Wochentags ermöglicht. Jedoch ist der Jahreskalender in mehrerlei Hinsicht eine aufwändigere und gehobenere Komplikation.
Überlegt man sich, vor welchen Aufgaben ein mechanischer Kalender innerhalb einer Armbanduhr gestellt sein könnte, fällt einem sicherlich schnell die unterschiedliche Länge der individuellen Monate ein.
Einfachen Kalenderkomplikationen gelingt es nicht, zwischen langen und kurzen Monaten zu unterscheiden. Das Datum muss deswegen jeden zweiten Monat (beziehungsweise fünfmal im Jahr) angepasst werden, da der Mechanismus die Datumsscheibe jeden Monat bis 31 dreht.
Nun gelang Patek Philippe im Jahre 1996 mit der Referenz 5035 der große Wurf. Sie stellten die erste Uhr vor, welche aufgrund eines patentierten Mechanismus in der Lage war, zwischen 30- und 31-Tage-langen Monaten zu unterscheiden.
Lediglich der Februar bedarf einer manuellen Korrektur. Aufgrund dessen benennt Patek den Jahreskalender auf ihrer Website als „nützliche und praktische Komplikation“. Ein anderes Wort für den Jahreskalender ist übrigens „Vollkalender“.
BILD: OMEGA CONSTELLATION GLOBEMASTER ANUAL CALENDAR
Heute bieten diverse Hersteller Jahreskalender an, welche das aktuelle Datum auf verschiedene Arten und Weisen anzeigen. Trotz der besseren Verfügbarkeit, bleiben Zeitmesser mit Jahreskalender im Alltag doch eher eine Rarität.
Sie sind auf den ersten Blick oft nicht von Uhren mit Monatskalender zu unterscheiden und sind somit Zeitmesser für echte Kennerinnen und Kenner. Das perfekte und hochfunktionelle Understatement. Ein schönes Beispiel bildet die dargestellte Omega Constellation mit einem traditionellen Pie-Pan Zifferblatt.
Der Ewige Kalender
Die Folgestufe der Kalenderkomplikationen ist selbstverständlich der Ewige Kalender. Wie der Name vermuten lässt, verschiebt sich das Einstellungsintervall in diesem ausgeklügelten mechanischen Wunderwerk erheblich nach hinten.
Dank eines höchst komplexen Mechanismus vermag ein Ewiger Kalender nach dem Einstellen ohne weitere Eingriffe bis ins Jahr 2100 das korrekte Datum anzuzeigen. Dies geschieht unter Berücksichtigung von langen und kurzen Monaten, Schaltjahren und dem 29. Februar. In den meisten Uhrenmodellen mit ewigem Kalender wird zusätzlich eine entsprechende Mondphase akkurat dargestellt.
Traditionellerweise verfügen Uhren mit Ewigem Kalender über ein symmetrisches Layout auf dem Zifferblatt. Vier Hilfszifferblätter stellen das Datum, den Wochentag, den Monat, das Jahr und gegebenenfalls zusätzliche Funktionen, wie die Mondphase, eine kleine Sekunde oder eine Gangreserve dar.
BILD: IWC PORTUGIESER PERPETUAL CALENDAR
Aufgrund ihrer Komplexität ist die Kompilation des Ewigen Kalenders eine sogenannte „High Complication“. Nur wenige Hersteller sind in der Lage, einen solchen Mechanismus zu fertigen. Zudem kommt die aufwändige Einstellbarkeit.
Da viele Teile ineinandergreifen, besteht bei falscher Handhabe stets die Gefahr der Beschädigung. Darum sind viele Uhren mit Ewigem Kalender – sollten sie stehenbleiben – zum Hersteller zurückzuschicken.
Nur einige wenige Mechanismen erlauben ein praktikables Einstellen. Dazu gehört der legendäre Kalendermechanismus von Kurt Klaus, welcher sich in Uhren von IWC findet. Um ein Stehenbleiben der Uhren zu vermeiden, empfiehlt sich beispielsweise das Nutzen eines Uhrenbewegers.
Retrograde Anzeigen
Der Name verrät eigentlich alles. Bei Uhren mit retrograder Anzeige werden Funktionen mithilfe eines sich rückwärts bewegenden Zeigers dargestellt. Dabei kann es sich um die Sekunden, die Minuten, die Stunden, das Datum und vieles mehr handeln.
Im Grundsinne handelt es sich um eine uhrmacherische Spielerei, welche selten Anwendung findet. Oft anzutreffen ist dann jedoch die retrograde Sekunde, bei welcher der Sekundenzeiger zunächst eine halbe Minute (0 – 30 Sekunden) regulär abläuft, bevor er mit hoher Geschwindigkeit retrograd zurückschnellt und die Skala ein zweites Mal abläuft, um eine Minute zu vervollständigen. Bei einem Tag von 24 h wiederholt sich dieser Vorgang 2880 mal.
Bekannt für diese Arten der Anzeige ist die Marke Gerald Genta, welche sich in vielen ihrer Zeitmesser der retrograden Minutenanzeige bedient. Aber auch viele weitere Marken habe sich an der Komplikation probiert und in Teilen sehr interessante Stücke hervorgebracht.
Der Schleppzeiger-Chronograph
Uhren mit Chronographen-, also Stoppuhr-, Funktion sind komplizierte Wunderwerke. Über den Chronographenmechanismus als solchen habe ich in der letzten Ausgabe berichtet.
Möchten die Hersteller jedoch eine gehörige Schippe an Funktionalität und uhrmacherischem Muskelspiel drauflegen, so ergänzen sie ihr Uhrwerk durch eine Rattrapante-Funktion.
Auch „Schleppzeiger“ oder „Split Seconds“ genannt, handelt es sich um sogenannte Doppelzeiger-Chronographen, welche das Stoppen von Zwischenzeiten ermöglichen. Beim Starten des Chronographen beginnen zwei exakt übereinander liegende Chronographen-Sekundenzeiger sich zu bewegen.
Betätigt man nun den „Stopp-Pusher“ hält lediglich einer der beiden Zeiger an, während sich der andere unbeeinflusst fortbewegt. So lassen sich Zwischenzeiten, Intervalle oder Zeitdifferenzen exakt bestimmen.
Die namensgebende (franz. „Ranttrapante“ bedeutet „einholen“) Funktion ist es zudem, dass ein weiterer Tastendruck den zuerst gestoppten Zeiger dazu veranlasst, den fortgelaufenen Zeiger wieder einzuholen und parallel mit ihm weiterzulaufen.
Rattrapante-Chronographen sind anspruchsvoll in ihrer Herstellung und gelten somit als besonders wertvolle Komplikation und als ein Zeichen höchster uhrmacherischer Fertigkeiten. Nur Zeitmesser der höchsten Güteklasse – und den begabtesten Uhrmacherinnen und Uhrmachern im Hintergrund – sind mit Rattrapante-Chronographenwerken ausgestattet.
Dazu zählen neben der Patek Philippe 5372, der F. P. Journe Chronograph Monopoussoir Rattrapante oder der A. Lange & Söhne Triple Split auch Uhren kommerziellerer Marken, wie die dargestellte Breitling Navitimer B03 Rattrapante oder die IWC Portugieser Rattrapante Chronograph.
Der Alarm
Es gibt wohl kaum eine praktischere Komplikation, als einen Wecker für das Handgelenk. Nie mehr nach der Party die Bahnhaltestelle verschlafen, nie mehr einen Termin verschwitzen und sich nie mehr auf den Handyakku verlassen müssen, um Erinnerungen präsent zu haben.
Aber mal Spaß beiseite – ein Alarm für das Handgelenk! Wir alle wüssten wohl auf Anhieb einen unmittelbaren Nutzen in unserem persönlichen Alltag.
Das wohl renommierteste Modell dieser Art ist die Vulcaine Cricket. Ihrem Namen entsprechend zirpte sie wie eine Grille, wurde die Zeit des voreingestellten Alarm erreicht. Dies alles geschieht selbstverständlich rein mechanisch. Der Schlägel der Alarmfunktion wird von der Energie der Hauptfeder gespeist.
Ein interessanter Fakt ist der Folgende. In den 1950er Jahren trug der U.S. amerikanische President Harry S.Truman gerne öffentlich seine Vulcaine Cricket und verließ sich auf ihre Genauigkeit und ihren zuverlässigen Alarm.
Doch auch Dwight Eisenhower, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon waren populäre Besitzer einer Vulcaine Cricket, weshalb der Zeitmesser sich den Spitznamen „Vulcaine President“ verdiente. So gibt es also de facto zwei „President“-Uhren, jedoch ist die Vulcaine Cricket – neben der Rolex Daydate – nur echten Enthusiasten bekannt.
Ein weiteres und das heutzutage bekannteste Modell ist die Jaeger-LeCoultre Memovox. Als eine heute führende und renommierte Marke hat JLC mit der Memovox den heute beliebtesten Armbandwecker im Sortiment. In vielen der ikonischen Kollektionen findet sich heute die Memovox-Funktion im Katalog von Jaeger-LeCoultre.
Das Schlagwerk
Auch das Schlagwerk hält prinzipiell genau das, was der Name verspricht. Es handelt sich um die Angabe der Zeit auf Abruf über ein akustisches Signal durch ein Repetitionsschlagwerk. Schlagwerke sind höchst komplexe Mechanismen und ebenfalls Zeichen hoher Uhrmacherkunst.
Man unterscheidet im wesentlichen Stundenrepetition, Viertelrepetition, Halbviertelrepetition, Fünf-Minuten-Repetition und Minutenrepetition. Das Betätigen eines Schiebers an der Gehäusewand speist den Mechanismus mit Kraft und aktiviert ihn. Die beiden populärsten Schlagmuster sind die Petite Sonnerie und die Grande Sonnerie.
Der Begriff „Sonnerie“ beschreibt den eigentlichen Mechanismus, welcher – verschaltet über ein separates Räderwerk – auf Abruf die Uhrzeit unter Zuhilfenahme akustischer Signale anzeigt. Kleine Hämmer schlagen dabei Stunden, Viertelstunden und Minuten auf Glocken, Tonfedern oder schwingende Teile der Gehäusewand. Die Art der akustischen Zeitwiedergabe nennt sich Repetition.
Die große Sonnerie (Grand Sonnerie) ist – wie oben beschrieben – eine besondere Art des Repititionsschlagwerks. Es bemisst sich an der Schlagfolge. Zunächst wird eine große Glocke geschlagen, um die aktuelle Stunde anzuzeigen. Danach folgen Doppelschläge für jede verstrichene Viertelstunde. (Beispiel: 3 tiefe Einzelschläge, 2 helle Doppelschläge, 8 helle Einzelschläge entsprechen: 3 Uhr + 30 Minuten (2 x 15 Minuten) + acht Minuten = 03:38Uhr).
Bei der Petit Sonnerie wird zur vollen Stunde die Stundenzahl auf eine große Glocke geschlagen, ohne Berücksichtigung der Viertelstunden. Abseits der vollen Stunde werden die Viertelstunden – für gewöhnlich mit einem Doppelschlag – auf zwei Glocken angegeben.
Viele Hersteller verfügen in ihren Katalogen über Uhren mit Schlagwerken. Bekannt sind die großen Komplikationen von Patek Philippe, die berühmten Traditionelle Minute Repeater von Vacheron Constantin, die beeindruckende A. Lange & Söhne Zeitwerk Striking Time oder Breguet Tradition Minute Repeater.
Das Tourbillon
„Tourbillon“ ist französisch und bedeutet „Wirbelwind“. Er war die Erfindung von Abraham Louis Breguet – dem wohl bedeutendstem Uhrmacher aller Zeiten – aus dem Jahre 1801 und galt als die ultimative Lösung lagebedingte Gangabweichungen in Taschenuhren zu kompensieren.
Durch die fixierte Lage in nur einer Position in der Westentasche des Trägers wirkte die Schwerkraft kontinuierlich in derselben Richtung auf die Unruh. Durch ein Tourbillon dreht sich die Unruh, aufgegangen im sogenannten Tourbillon-Käfig, im Regelfall ein mal pro Minute um sich selber und wechselt ständig ihre relative Position zur Schwerkraft.
Heutzutage sind Tourbillons meistens ein Zeichen uhrmacherischen Vermögens, da Armbanduhren normalerweise im Verlaufe des Tages nicht statisch an eine Position gebunden sind, sondern sich laufend im Raum bewegen.
Varianten des klassischen Minuten-Tourbillons sind beispielsweise das Halbminuten-Tourbillon oder das fliegende Tourbillon, welches ohne einen Käfig auskommt. Streng genommen handelt es sich bei einem Tourbillon nicht um eine Komplikation, da sie dem Zeitmesser keine zusätzliche Funktionalität gibt.
Bei einem Tourbillon handelt es spezifisch sich um eine Funktion, welche einzig für die Verbesserung der Chronometrie erfunden wurde, was ihr wahrlich einen besonderen Stellenwert gibt. Heute werden Uhren nicht mehr in der Westentasche getragen, Armbanduhren trägt man am Handgelenk. So wechseln sie häufig ihre Lage gegenüber der Schwerkraft und machen das Tourbillon schlicht und ergreifend überflüssig.
Doch die Tatsache, dass es aufwendig zu fertigen und spektakulär anzusehen ist, reicht aus, um sie zu es zu einem begehrten Feature in Armbanduhren der obersten Preisklassen werden zu lassen. Und ist das nicht die vielleicht sogar die metaphorische Definition von Luxus?
Und damit sind wir am Ende der heutigen Ausgabe. Wie immer hoffe ich, dass sie euch gefallen hat und ihr etwas Wissenswertes und Neues mitnehmen konntet. Falls ihr mehr spannende Geschichten lesen möchtet, schaut unbedingt im Magazin auf unserer Website altherr.de vorbei. Dort findet ihr auch viele der Uhren, über die ich in dieser und den letzten Ausgaben berichtet habe. Danke, dass ihr wieder dabei wart und bis zum nächsten Mal.
Euer Severin
Bilder: ALTHERR
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