Interview mit Stilcoach Uwe Fenner
„Benimmregeln erleichtern das Zusammenleben“
Stilcoach und Buchautor Uwe Fenner spricht im Interview mit dem Gentleman-Blog über die Manierenverfall der „Achtundsechziger“, den tieferen moralischen Sinn von Benimmregeln und erklärt, wer bei einem Date von Mann und Frau die Rechnung zahlen sollte.
Herr Fenner, die ersten Worte Ihres Buches „Erfolgreich mit Stil“ lauten „Benimm ist in“. Waren Benimmregeln denn jemals „out“?
Oh ja, die Generation der „Achtundsechziger“ hat Benimm nicht nur abgelehnt, sondern geradezu als „spätbürgerlich und spießig“ verdammt. Nur wenige selbstbewusste und kultivierte Familien haben in den Zeiten zwischen 1970 und 1990 ihre Kinder überhaupt erzogen. Heute schlägt das Bewusstsein um – zum Glück: Denn zu einem guten Inhalt gehört immer auch eine gute Form, wie der Bilderrahmen zum Gemälde.
Geschmack und guter Stil waren früher eine Art Luxusgut, das nur einer kleinen Gruppe vorbehalten war. Wann kamen Benimmregeln für weite Teile der Gesellschaft in Mode?
Für den guten Geschmack mag das zutreffen. Das ordentliche, höfliche Benehmen hingegen wurde auch in einfachsten Verhältnissen hochgehalten. Schon immer hat die Elite ihre Gepflogenheiten an andere Teile der Gesellschaft weitergegeben. Es sind ja im Grunde nur Regeln. Mit der Weitergabe dieser Regeln haben wirklich erst die Achtundsechziger aufgehört.
Sind die Benimm- und Kniggeregeln zeitlos oder verändern sich diese im Zeitverlauf?
Die zeitlose Generalklausel lautet: „Gutes Benehmen ist „alterozentriert“. Das heißt man genießt nicht allein seinen eigenen Vorteil, was einer „egozentriert“ entspricht, sondern sieht zu, dass dem anderen mein Verhalten gefällt. Der Franzose sagt: „Gutes Benehmen, das ist après vous – nach Ihnen“. Das sagt eigentlich alles. Da hat sich im Generellen nichts geändert. Nur ein paar früher artige Gepflogenheiten haben sich durch Veränderung der Lebensumstände geändert. Zum Beispiel macht man, seit sich das Telefon durchgesetzt hat, keinen unangemeldeten Höflichkeitsbesuch mehr, wie er früher üblich war.
Benimmregeln gelten aber nicht nur, um anderen zu Gefallen, oder Stil und Etikette ihrer selbst Willen zu wahren.
Richtig. Der tiefe Sinn von Benimmregeln ist es, das alltägliche Zusammenleben zu erleichtern! Wenn ich den anderen Menschen durch meine Höflichkeit Freude mache, erleichtert das den Umgang miteinander. Wenn ich mich in die Wünsche anderer Menschen hineindenke, kommt es weniger zu Kollisionen und seltener zu Missverständnissen. Wenn ich den anderen durch Höflichkeitsgesten ehre, verbessere ich damit automatisch die Stimmung. Nur wenn derlei Gesten nicht verstanden und nicht erwidert werden, oder diese von meinen Mitmenschen vielleicht sogar zu ihrem eigenen Nutzen ausgenutzt werden, dann kann’s schon mal krachen.
Welche grundlegenden Verhaltensregeln sollte sich jedermann für sein Alltagsleben aneignen?
Andere Menschen nicht durch unangenehme Geräusche, üble Gerüche, dumme Redensarten, peinliche Bewegungen oder einen visuell grässlichen Auftritt zu bepeinlichen. Und vor allem ehrlich sein. Das Ehrlichkeitsgebot findet nur da seine Grenzen, wo man den anderen mit Ehrlichkeit beleidigen würde. Man sagt zum Beispiel nicht: „Sie sehen heute aber wieder fürchterlich aus.“ Eine weitere Verhaltensregel lautet, dem anderen zuhören, ihn aussprechen lassen und ihn niemals unterbrechen. Des Weiteren gilt: Sich nicht vordrängeln, nicht mit vollem Mund sprechen und auch nicht beim Essen mit dem Besteck gestikulieren, den anderen Menschen durch freundliches Grüßen ehren, Aufstehen, wenn der andere steht oder sich zum Grüßen nähert. Eine weitere Grundregel lautet, keine Vorteile in Anspruch zu nehmen, die man sich erschlichen hat oder die einem nicht zustehen. Gutes Benehmen hat immer auch eine höchst moralische Dimension.
Viele Knigge-Regeln drehen sich rund um Tischmanieren beim Essen. Nennen Sie uns bitte die wichtigsten Grundregeln.
Neben dem „nicht mit vollen Mund sprechen“ und dem mit dem „nicht Besteck gestikulieren“ gilt ferner: Mit dem Essensbeginn warten, bis alle anfangen können. Niemals mit dem Ellenbogen den Tisch berühren. Und die gegebenenfalls nicht benutzte Hand liegt genau bis zum Knöchel auf dem Tisch.
In welchen Ausnahmefällen ist es gestattet, mit den Händen statt mit Besteck zu essen?
Im Bierzelt oder wenn es Fingerschalen zum Waschen der Finger an jedem Platz gibt.
Woran sollte ein Mann beim Date im Restaurant mit einer Frau seine Entscheidung festmachen, ob er die Rechnung zahlt oder nicht?
Wenn es sich um eine Frau handelt, die wie der Mann im Berufsleben steht und Geld verdient, sollten sich die beiden darum streiten, wer bezahlen darf. Der „Unterlegene“ in diesem Streit verspricht, das nächste Mal zu zahlen, und tut es auch! Nur wenn der Unterschied in puncto Finanzen sehr groß ist, darf sich der Geringverdiener öfter einladen lassen – egal, ob Mann oder Frau.
Sie sind nicht nur Stilcoach, sondern auch seit vielen Jahren als Personal- und Unternehmensberater tätig. Wie viele Karrieren haben Sie schon wegen mangelhaften Benehmens scheitern sehen?
Eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Aber viele Karrieren scheitern daran, dass der Betroffene mehr versprochen hat, als er zu halten vermochte. Wenn er zusätzlich noch ruppig war und seine Vorgesetzten nicht höflich behandelt hat, dann ist’s schnell zu Ende auf der Karriereleiter.
In Stellenangeboten von Unternehmen wird immer wieder die Relevanz ausgeprägter Soft Skills betont. Inwieweit sind Soft Skills auch gleichzeitig Benimmregeln und Etikette?
Soft Skills bezeichnen die sogenannten menschlichen Faktoren, diejenigen Eigenschaften, die ein Mensch im Unternehmen zeigt, die nicht zu den leicht messbaren Erfolgen zählen, also guter Umgang mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden. Das ist die „Sozialkompetenz“. Hohe Sozialkompetenz besitzt nur ein Mensch mit gutem Benehmen.
Was sind die wichtigsten Soft Skills und Benimmregeln für eine erfolgreiche Karriere?
Die wichtigste Regel für eine erfolgreiche Karriere ist hier erneut, wie schon oben gesagt, die Alterozentriertheit. Das „Sich-hinein-denken-Können“ in die Mitmenschen mit ihren Fragen, Problemen, Nöten, Ängsten, Schwächen und Stärken. Und dann die vornehme, freundliche, trotzdem natürlich zielorientierte Behandlung, Führung und Motivation dieser Menschen. Das ist eine hohe Kunst.
Gemeinsam mit dem Institut für Stil und Etikette geben auch Seminare für Benimm- und Business-Kleidungsregeln. Wer sind ihre Besucher?
Ich gebe überwiegend Seminare für Unternehmen und ähnliche Institutionen, zum Beispiel auch an Hochschulen und anderen Weiterbildungsinstituten oder auf Messen. Dann kommen, wie auch bei meinen Publikumsseminaren, zu denen sich jedermann anmelden kann, 60 Prozent Frauen und 90 Prozent Menschen, die sich in „Weiße-Kragen-Berufen“ befinden und die Karriereleiter aufsteigen wollen. Sie sind teils Angestellte, zum Beispiel in Banken oder großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Anwaltskanzleien oder Selbstständige, die sich gesellschaftlich perfektionieren wollen. Die meisten Teilnehmer sind dabei keineswegs völlig ahnungslos in Sachen Stil & Etikette. Aber es gibt niemals einen, der das schon alles weiß und kennt.
Welche dieser Veranstaltungen haben den größten Zulauf?
Bei den Publikumsveranstaltungen, die mein Institut für Stil und Etikette zum Teil selbst produziert und zum Teil aber auch in Kooperationen mit Partnern veranstaltet, dominiert der Klassiker: Das Viereinhalb-Stunden-Seminar „Guter Stil und Etikette“, das auch ein Drei-Gänge-Menü mit einschließt.
Wie erklären Sie sich den hohen Zulauf beziehungsweise den Nachholbedarf?
Menschen, die ein positives Image ausstrahlen wollen, die Karriere machen und in der Gesellschaft respektiert werden möchten, wollen heute nicht mehr so abgerissen herumlaufen, wie ihre Eltern, auch nicht so unappetitlich essen. Sie wollen „alles richtig machen“. Diese meist jüngeren Zeitgenossen gehen mit diesem Thema auch leidenschaftslos um. Während Angehörige meiner Generation sich teilweise zu Unrecht schämen, in eines meiner Seminare zu gehen, sehen die Jüngeren das einfacher: Ihnen ist bewusst, wenn ihnen diese Kenntnisse fehlen. Sie sagen sich, „in Mathematik habe ich eine Zwei gehabt, in Sport eine Eins, aber Stil und Etikette gab’s weder in der Schule noch an der Uni. Also muss ich dahin.“ Meine Seminare sind für den Umgang mit Menschen das, was für den Körper das Sportstudio ist!
Kommen wir zur Mode und dem klassischen Business-Outfit hochrangiger Personen. Wie sieht das aus?
Es ist nicht vorrangig eine Modefrage. Der Topmanager trägt im internationalen Geschäftsleben einen durchgehenden dunklen Business-Anzug, zwei- oder dreiteilig, dunkelgrau oder dunkelblau, vielfach sogar schwarz, was ein bisschen einfallslos ist. Der sehr offizielle Business-Anzug hat allenfalls das klassische Nadelstreifenmuster, und dieses auch nur, wenn er dunkelblau ist, oder er ist ungemustert. Der Anzug ist ein- oder zweireihig. Das Hemd dazu besitzt Doppelmanschetten, die mit goldenen oder silbernen Manschettenknöpfen, am besten solchen mit kleinen ovalen Halbedelsteinen, niemals mit Brillanten oder Diamanten besetzt sind, ist weiß oder pastellfarben oder blau-weiß bzw. rot-weiß gestreift, die Strümpfe reichen bis zu den Knien und sind mindestens so dunkel wie der Anzug, besser eine Nuance dunkler, die Schuhe sind oben und unten aus Leder und sind schwarz.
Bei welchen Anlässen sind und bleiben Anzug, Schlips und edle Herrenschuhe für Männer ein ungeschriebenes Gesetz?
Ich denke als Business-Outfit sind Anzüge etc. in Geschäftstätigkeiten im Umfeld von Banken und internationalen Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie von Unternehmensberatungen sowie auch in den Top-Etagen großer Unternehmen selbst Pflicht. Das gilt insbesondere für den internationalen Geschäftsverkehr. Außerdem nutzen Gastgeber und Teilnehmer von Events, zu denen als Teilnehmer Businesspeople, Politiker und/oder Wissenschaftler erwartet werden, diese offizielle Businesskleidung. Ebenfalls gehört sie zu allen geschäftlichen Dinner- oder Cocktailpartys. Als festliche Kleidung gehören Anzug und Schlips zum korrekten Outfit in der Oper, in Konzerten, zu offiziellen Abendessen, zu welchen keine Abendgarderobe wie Frack oder Smoking vorgeschrieben ist, zu offiziellen Empfängen und zu Hochzeiten in der Kirche.
Und für weniger offizielle Anlässe?
Es gibt natürlich auch weniger offizielle Kleidung im Business, die sehr schön und sehr passend sein kann und die auch in anderen Berufen oder Unternehmungen üblich und angebracht ist. Für tagsüber beispielsweise die klassische Kombination aus einer eher braun-gemusterten Tweed-Jacke und einer mittelgrauen Hose, zu welcher durchaus braune Schuhe getragen werden.
Wie sieht das Business-Outfit für Damen aus?
Die Damen tragen entsprechendes Outfit mit Kostümen und Hosenanzügen. Sie können aber genauso gut auch Kleider tragen. Für Damen gibt es eigentlich keine genauen Muss-Vorschriften, eher Don´ts, wie zum Beispiel im Büro Spaghettiträger und Sandalen zu tragen. Sandalen sind für die Herren übrigens genauso ein Tabu.
Gibt es in Sachen legerer Kleidung so etwas wie eine Altersgrenze?
Das kann man so nicht sagen. Für Jeans jedenfalls gibt es eher eine Figur-Grenze. Jeansträger müssen schlank sein, sonst sollten sie es lassen. Das gilt auch besonders für Damen.
Zu guter Letzt: Wie lautet ihr Plädoyer pro Benimmregeln?
Ob gutes Benehmen materielle Vorteile bringt, weiß ich nicht hundertprozentig mit Ja zu beantworten. Zumindest können guter Stil und Etikette nicht schaden. Dass gutes Benehmen aber immaterielle Vorteile, vor allem Imagevorteile bringt, weiß ich sicher. Und da ein gutes Image häufig auch zu persönlichen und beruflichen Erfolgen führt, ist es dann doch häufig mit auch materiellen Erfolgen verbunden. Vor allem aber: Man selber fühlt sich einfach viel wohler, wenn man anderen Menschen den Vortritt lässt, die Tür aufhält, und ihnen einen gesitteten Anblick beim Essen bietet. Das ist allemal ein Grund, Benimmregeln ernst zu nehmen. Nur eines sollte man beachten: Man soll sie mit einer gewissen Mischung aus Lässigkeit und Noblesse anwenden, nicht verkrampft und überkorrekt. Man soll den mittleren Knopf des Jacketts im Stehen und beim Gehen zugeknöpft haben, aber wenn im Eifer des Aufstehens mal die Zeit nicht reicht, sich vor dem Handschlag noch schnell zuzuknöpfen,…was soll’s? Aber danach muss man es dann tun, wenn man stehen bleibt.
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