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»Wir sind alle Individuen«

Also ich bin da ganz anders – Wie individuell sind wir wirklich?

Also ich bin da ganz anders – Wie individuell sind wir wirklich?

Also ich bin da ganz anders… Oder doch nicht? Der Gentleman-Blog zeigt, warum wir zwar alle einzigartige Individuen sind, unsere Individualität aber häufig überschätzen, und was die Konsumgesellschaft damit zu tun hat.

Eine gesellschaftliche Errungenheit

Kaum eines Wertes rühmt sich unsere westliche Gesellschaft so sehr und so häufig, wie dem der Individualität: “Lebe Deinen Traum, sei immer ganz Du selbst, verwirkliche Dich!“ scheint das Credo unserer Zeit geworden zu sein. Auch die Konsumgüterindustrie möchte uns in unserer unglaublichen Einzigartigkeit gerne durch ihre Produkte unterstützen: “Kaufe unsere Jacke XYZ (Made in Bangladesh) und drücke damit Deinen ganz persönlichen Stil aus.“ Leben wir wirklich in einem Paradies der freien Persönlichkeitsentfaltung oder geben wir uns einer Illusion hin?

Was ist eigentlich Individualität?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns über das Wesen der Individualität im Klaren werden. Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort für Ungeteiltheit ab und verweist auf die Tatsache, dass jeder Mensch einzigartig ist.

Unbestreitbar haben wir alle durch unser Wesen, unsere Familie und unsere Lebenserfahrungen einen ganz bestimmten Blick auf unsere Umwelt. Dies erkannte bereits der große Philosoph Arthur Schopenhauer, als er den Satz prägte: „Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt“. Auch eine alte afrikanische Weisheit kommt zu einer ähnlichen Feststellung: „Jeder Mensch ist ein anderes Land“. Bei dieser Betrachtung offenbart sich, wie unsinnig es ist, jemandem vorzuwerfen, er lebe in seiner eigenen Welt. Wir alle leben ausnahmslos in unserer eigenen Welt.

Die Grenzen der Individualität

Wenn wir alle einzigartig sind, wieso existieren dann spezielle Charakterisierungen wie Individualist, Paradiesvogel, Exot oder Exzentriker? Die meisten Menschen fürchten sich unglaublich davor, von der Gesellschaft ausgeschlossen oder ausgegrenzt zu werden, deshalb tun sie alles, um nicht als “anders“ zu gelten. Obgleich die Gesellschaft äußerlich die Individualität zum Ideal erhoben hat, werden wirkliche Individualisten oft als Freaks, Verrückte oder Kuriositäten belächelt. Gleichzeitig wären die meisten Menschen tief gekränkt oder persönlich beleidigt, wenn sie von ihren Freunden als „total normal“ oder „nichts Besonderes“ charakterisiert würden.

Es scheint in unserem evolutionären Erbe zu liegen, dass unser Handlungsspielraum innerlich stets zwischen Individualismus und Anpassung ausgehandelt wird. Eine bewusst inszenierte Illusion dagegen ist die Konsum-Individualität: Das bunte T-Shirt der hippen US-Bekleidungskette mit den Waschbrettbauch-Jünglingen oder das exzentrische Tribal-Tattoo (hat heute jede Fleischereifachverkäuferin) können niemals zu einer authentischen Visitenkarte für den ausgefallenen Charakter des Trägers werden. Mit industriell produzierter Massenware Individualität zu schaffen, gleicht dem Versuch ein Kind in ein Ausmalbild sein schönstes Ferienerlebnis malen zu lassen.

Die Lauten, Ruppigen und Unverschämten sind scheinbar in der Übermacht. Wer sich daher wirklich von der Masse absetzen will, muss sich heute keine schmerzhaften Tattoos stechen lassen, gute Manieren und Stil sind nicht mit Geld zu kaufen, aber viel wirkungsvoller.

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Kommentare (5)

  1. Nov 30, 2013

    Den Psychologischen Teil solltet Ihr hier forcieren. Alle anderen sollten … vernachlässigt werden.
    Warum? Ich weiß das von Cicero, und von v. knigge:
    http://www.maennerschmie.de/vir-bonus/440/

  2. Timo
    Okt 6, 2013

    @ThFuegner: P. Sloterdijk ist zwar definitiv ein kluger Kopf, und seine Texte kommen bestimmt auch passabel durch den Blablameter. Doch leider heiß das nicht, dass man ihn deshalb besser versteht. Allein der erste Satz hat 53 Wörter! Ein Satzmonstrum. Und ohne ein Fremdwörterlexikon ist der „normale“ Leser beim ihm oft aufgeschmissen. Da lob ich mir den verständlichen Gentleman-Blog. Wobei es hier natürlich auch immer auf die einzelnen Autoren ankommt.

  3. Okt 6, 2013

    Nachdem ich 2 Zeilen des Textes gelesen hatte, hab ich ihn durch den blablameter, den Phrasentester scanne gelassen. Ergebnis: 0,25 -passabel. Trotzdem kam er mir flach vor, und am Schluss wusste ich, warum: der Weisheit letzter Schluss, da ist eben „Manieren und Stil“ statt rüpelhaftes Benehmen und A&F. Aha.
    Nein, Freunde, vor etwas mehr als 10 Jahren erschien im sz-magazin einTitel von (?) „Schön sein allein genügt nicht“ und so isses wohl auch.
    Nur den „besseren Stil“ und gutes Benehmen machen beileibe noch keine erwachsenen Charakter aus. Leider. Ihr bleibt da beim Oberflächlichen.
    Es ist mehr eine Haltungsfrage, die P. Sloterdijk im Cicero mal unterschieden hatte, zwischen Eros und Thymos. Zitat:
    „wie es kam, dass bei uns, in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Besonderen, im Laufe des 20. Jahrhunderts die Balance zwischen den Primäraffekten der menschlichen Seele, den gierartigen Regungen auf der einen Seite, den stolzartigen Regungen auf der anderen – griechisch gesprochen: das Wechselspiel von Eros und Thymos – so völlig verloren gegangen ist. Die heute erreichten Grenzwerte sprechen für sich: Von einem Ende zum anderen ist unsere Alltagskultur von den Figuren und Affekten der Mangelrhetorik durchdrungen. Ja, was wir in unseren Breiten Wirklichkeit nennen, ist ein Gesamtkunstwerk aus Mangeleinbildungen. An allen Ecken und Enden spricht man nur noch vom Fehlen, vom Brauchen, vom Nicht-Haben und vom Beantragen – längst neigen die meisten Zeitgenossen zu der Überzeugung, dass mit dem Wort Mängelwesen alles gesagt sei, was über den Menschen als wunschgetriebenes Etwas überhaupt zu sagen ist. Bis in die letzten Verästelungen unserer Begriffs- und Erlebnisform ist unser Dasein durch Mangeldefinitionen geprägt. Wie keine Generation zuvor sind wir therapeutisiert, kulpabilisiert, miserabilisiert und auf Defizitgefühle dressiert. In kulturgeschichtlicher Sicht dürften wir die erste Gesellschaft sein, in der man allgemein den Satz unterschreibt, wonach der Mensch das Tier im Minus ist. Für die komplementäre Dimension des menschlichen Seelenlebens, den Stolz, die Ehre, die Großzügigkeit, das Haben und Schenken, für die ganze Skala der gebenden Tugenden, die zum kompletten thymotischen Leben gehören, haben wir praktisch kein Empfinden mehr, und mit dem fehlenden Empfinden ist auch die dazugehörige Sprache ausgestorben. Vom gebenden Leben weiß unsere Offizialkultur so gut wie gar nichts mehr. Dass die Menschen aber nehmende und gebende Wesen sind, ja dass sie, sobald sie auf die gebende Seite kommen, materiell oder symbolisch, sofort beginnen, mit sich selbst und den anderen viel bessere Erfahrungen zu machen, als auf der Gierseite je zu gewinnen sind: das ist aus dem aktuellen Horizont unserer Wirklichkeitsauffassung so gut wie völlig ausgeblendet worden. Es ist wahr, über Einkünfte, Gewinne und Zuwächse, die unserer nehmenden „Natur“ Genugtuung verschaffen, freut man sich, solange die Quelle sprudelt. Und nichts berechtigt uns, über diese Komponente der menschlichen Affektwirklichkeit die Nase zu rümpfen, …“

  4. Okt 4, 2013

    Das stimmt – ein wirklich gelungener Artikel – sollte man(n) sich zu Herzen nehmen.

  5. Okt 3, 2013

    Ein wunderbar geschriebener, auf den Punkt gebrachter Artikel zum Dilemma Uniformität/Individualismus!

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