Den Klassiker neu erleben
5 Tipps für mehr Gin-Genuss
Unter den Spirituosen ist der Gin so etwas wie der perfekte Schwiegersohn – er macht es einem nahezu unmöglich, ihn nicht zu mögen. Zumindest, wenn man ein paar Grundregeln beherzigt. Dann finden auch jene einen persönlichen Liebling, denen der Wacholder als wichtigster Geschmacksgeber bislang zu bitter war. 5 Tipps zum Gin-Genuss von Spirituosenexperte Roland Graf.
1. Probieren Sie – viel und richtig!
Der Gin hat ein Grundproblem: Er wird praktisch kaum pur getrunken. Selten trinkt ihn jemand lediglich auf Eis. Der Rest konsumiert Cocktails, vorzugsweise den einfachen Highball mit Tonic Water. Daher gehört das auch so verkostet.
Und wenn sie am Flughafen noch so viel Plastik-Fingerhüte zum Probieren reichen: Beurteilen kann man den Gin hier nicht gänzlich. Denn drei Inhaltsstoffe verändern ihn später mit Tonic massiv.
- Das bittere Chinin
- Die Frucht, in der Regel Zitrone
- Und am meisten die Kohlensäure
Der Werbespruch, den die britische Marke „Fever Tree“ geprägt hat, gilt für alle anderen Filler auch: Zwei Drittel macht der „Mixer“, eben das Tonic, im „G&T“ aus.
Und die Kombination hebt ganz eigenwillige Noten. Das trifft zum einen die filigranen Gins, die im „G&T“ oft gegen markante Tonics untergehen. Subtile Aromen im Pur-Genuss sind bei gelagerten Spirituosen wie Cognac oder Whisky das A & O. Beim Gin sind sie eher mit Vorsicht zu genießen. Die Flut mag alle Boote heben, das Tonic hebt nie alle Nuancen. Da kann dann plötzlich die Limette „explodieren“ oder die dezente Blumigkeit wie ein Kaugummi im Ballonglas riechen.
Was hilft dagegen? Viel kosten und das im Idealfall mit dem persönlichen Lieblings-Tonic und etwaigen Beigaben. Merke: Nicht jeder Gin liebt Gurken, Pink Grapefruit-Scheiben oder Erdbeeren so wie Sie!
2. Lassen Sie sich inspirieren
Man muss kein mixologischer Auskenner sein, aber dass die Zahl der Gin-Drinks deutlich höher ist als jene mit Single Malts, hat man schnell erkannt. Doch gerade beim Gin lässt sich nahezu jede persönliche Vorliebe bedienen.
Ein Beispiel, das selten gemixt wird an der Heim-Bar, aber großartig für alle Fans von pikanten Aromen ist: „Red Snapper“ nennt sich die Variante des Wodka-Drinks „Bloody Mary“, der mit Gin zubereitet wird. Schon allein für diesen Drink lohnt sich die Anschaffung von Selleriesalz. Der Drink zeigt die würzige Seite des Gins besonders gut und er eignet sich auch für alle, die keinen Tomatensaft mögen. Er funktioniert nämlich auch mit Tomatenwasser (abgeseihtem Rot-Gemüse, nicht dem stückigen Pürée). Ein großartiger Drink im Sommer und zu einem Steak oder Burger!
Fruchtig kann der Gin aber ebenso gut. Klassische Rezepte wie der „Clover Club“ (mit Himbeeren) oder Dick Bradsells „Bramble“ (Brombeer-Likör) sind vielleicht bekannt. Doch auch ein Vorfahre des „Cosmopolitan“ nutzte bereits Cranberry-Saft und Gin.
Der „Harpoon“ ist für Freunde betont herber Gins eine interessante Rezeptur, die mit dem Gerbstoff der Frucht erdige Töne unterstreicht. Und natürlich kann man sich auch von seinen liebsten Kräutern und Gemüsen zu einer Alternative zum ewigen „Gin&Tonic“ anregen lassen.
Deutschland spielt in Person Joerg Meyers hier eine führende Rolle, denn der Hamburger packte für den „Gin Basil Smash“ die aromatischen grünen Blätter in den Tumbler. Gurke geht ohnehin bestens mit Gin, aber auch Thymian oder Kreuzkümmel sorgt für einen würzigen Touch. Wer es bodenständig liebt: Apfelsaft und Holunderblüten-Sirup ergeben einen angenehm leichten Gin-Cocktail. Man muss sich nur trauen!
3. Tasten Sie sich heran
Es gibt eine Art Grundrezept für Gin, doch wie man in der Musik sagen würde, ist es ein Thema mit Variationen. Im Fokus stehen neben dem Wacholder (das verlangt das Gesetz auf EU-Ebene) Verstärker der herben Töne – meist Wurzeln – und ein Frischespender, der in der Regel aus einer oder mehreren Zitrusfrüchten besteht.
Drei Zutaten sind also so etwas wie das Minimum. Nach oben gibt es keine Grenze, wie nicht nur der Schwarzwälder „Monkey 47“ mit ebenso vielen Aromagebern beweist. Wobei nicht immer gesagt ist, dass man jedes „Botanical“ auch schmeckt, das am Etikett verzeichnet ist. Sofern es dort überhaupt steht. Denn die Spirituosenbranche gibt sich gerne verschwiegen. „Alte Familienrezepte“ und „geheime Botanicals“ sind an der Tagesordnung.
Zudem haben einige Zutaten gar nicht die Aufgabe, selbst Geschmack abzugeben, sondern spielen die Rolle eines „Fixativs“ – so nennt man in der Parfumherstellung Stoffe, die andere Aromen (ver)binden. Das leistet in Cocktails oft der Cocktailbitter.
Und auch eine andere Eigenart kann man an der Bar für den Gin-Genuss lernen: Es geht um Balance. Ist dem persönlichen Geschmack etwas zu viel, kann man gegensteuern. Mag jemand das Herbe am Gin nur in Maßen, ist ein fruchtiges Tonic angesagt. Wirkt das Destillat zu erdig, dann erfrischt eine Zitruszeste. Ist der Gin zu blumig, gehören trockene Partner gewählt. Und auch ein Blend von zwei Gins ist nicht verboten, wenn er das persönliche Optimum am Gaumen ergibt.
4. Erweitern Sie den Kosmos
Die Vielfältigkeit des Gins ist mit den Neuzugängen des letzten Jahrzehnts keineswegs erschöpft. Wer einmal Geschmack daran gefunden hat, sollte auch die „Familie Wacholder“ kennenlernen. Der älteste davon ist der Opa des Gins, der holländische Genever bzw. sein belgisches Gegenstück. In seinen Hochburgen Schiedam und Hasselt kommt der „Moutwjin“ in unterschiedlichen Anteilen zum Einsatz. Der „Malzwein“ basiert auf gebranntem Getreidemalz und wird mit Korn-Brand verschnitten, ehe beide mit Kräutern aromatisiert werden. Er findet in der Geschichte des Gins immer Erwähnung, wenn es darum geht, wie zum britischen Nationalgetränk wurde. Da der Genever den holländischen Waffengefährten Mut verlieh, erhielt er den Spitznamen „Dutch Courage“, ehe mit Wilhelm von Oranien ein Niederländer den britischen Thron einnahm und sein Leibgetränk über den Ärmelkanal mitnahm.
Und dann sollte man nicht die eigenständige Tradition Deutschlands vergessen, die sich mit dem Namen „Doppelwacholder“ verbindet. Der Name definiert eigentlich nur den Alkohol (mindestens 38% Vol.), das Brennen des „Kranewitt“, wie die Beere auch genannt wird, geht aber lange zurück. In Berchtesgaden kann die Enzianbrennerei Grassl ihr Privileg des Wacholderbrennens bis ins Jahr 1692 zurückführen. Aber auch Gerhard Liebl im Bayrischen Wald pflegte das Kulturgut „Doppelwacholder“ – mit dem etwa die Berliner Bar „Becketts Kopf“ mixt.
Großvaters Liebling „Steinhäger“ in der typischen Kruke, einer Tonflasche, darf in der Aufzählung nicht fehlen Er darf nur im Westfälischen Steinhagen gebrannt werden und gehört ebenfalls zu den traditionellen Wacholder-Spirituosen.
5. Unterstützen Sie lokale Brenner
Wer die ersten vier Punkte der Wacholder-Checkliste abgehakt hat, kann sich an die Gin-Kür wagen. Lange Transportwege sind nicht „sexy“ und spätestens der „Lockdown“ hat die Augen für die lokalen Angebote geöffnet.
Die deutschsprachige Brenner-Szene hat relativ früh auf den Gin-Hype reagiert und neben wenigen Welthits (Monkey 47 aus dem Schwarzwald, Blue Gin aus Oberösterreich) eine Fülle von Varianten kreiert. Vom Berliner „Brandstifter“ bis zum Münchener „Duke‘s Gin“ tragen viele nicht nur stolz den Namen ihrer Stadt, sondern nützen teilweise auch überraschende Botanicals lokaler Provenienz.
Ein schönes Beispiel für die fruchtige Variante wäre „Rubus“, der Himbeeren und das Know-how der Brennerei Faude nützt. Die Idee stammt aus Stuttgart, wo sich die Bartender Leo Langer und Alex Mayer trafen und einen fruchtigen Gin (aber ohne Kaugummi-Aroma) suchten. Kurzerhand erstellten sie ihn dann gemeinsam mit Florian Faude. Ein anderes Beispiel bieten die Brüder Steiner, die in Niederösterreich aus dem Stand heraus mit ihrem „Steinhorn“ die wichtigsten Verkostungen gewinnen konnten. Die kleine Produktion ermöglicht einen Gin „wie früher“.
Wie und wo auch immer Sie Ihren Gin trinken, wir wünschen viel Vergnügen!
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