Der Sommer ist fast vorüber – Machen wir uns auf die Rotweinzeit gefasst…
Kapitel 1: Angelo Gaja und sein ›Darmagi‹
Väter und Söhne und die Übergabe eines Erfolgsunternehmens – ein Stoff für Romane und die Regenbogenpresse gleichermaßen. Selten gehen diese Übergaben reibungslos über die Bühne des Lebens. Auf der einen Seite die »Alten«: stark geprägt von ihrem Schaffen und dem langen Kampf um Erfolg; auf der anderen die »Jungen«: hitzig und im Bann vieler neuer Erkenntnisse, müssen und wollen sie sich beweisen, sind überzeugt davon, nicht nur genug Mut und Kraft, sondern auch neue Techniken verinnerlicht zu haben und Visionen umsetzen zu können.
Sorgen neue Ansätze in diversen Bereichen – beispielsweise im industriellen Sektor und im Dienstleistungssektor – recht häufig für genügend Reibungen, kann in Winzerfamilien, in denen eine schlechte Ernte die unternehmerische wie auch die familiäre Existenz unter Umständen erschüttert und bei deren Arbeit bedeutend mehr Fingerspitzengefühl und Intuition gefragt sind als bei der Produktion zahlreicher anderer Güter… In Winzerfamilien also kann das Forcieren geradezu avantgardistischer Ideen schon einmal zu einer enormen Belastung führen. So auch in der Winzerdynastie der Gajas, beheimatet in einem der bekanntesten Anbaugebiete Italiens: den Hügeln des Piemont.
Streit der Generationen
Vater Giovanni Gaja wusste um die Realität: Sein Sohn Angelo, der das Gut übernehmen sollte, würde bald seinen ersten eigenen Wein produzieren. Er bot ihm eine besonders gute Lage in Barbaresco an. Angelo erwiderte, er solle sich keine Sorgen machen, denn schon bald werde er den besten Wein der Region herstellen und den Vater damit ehren – er bitte nur um ein paar Jahrgänge Geduld und um entsprechende finanzielle Unterstützung für sein neues Projekt. Der Vater entgegnete, der Weinberg sei bepflanzt und in guter Verfassung – Angelo brauche lediglich auf einen guten Jahrgang zu hoffen, um einen ›Barbaresco‹ der absoluten Extraklasse produzieren zu können. Da Arbeiter und Lesehelfer bezahlt würden und der Keller ihm natürlich zur Verfügung stehe, frage er sich, wofür der Sohn das viele Geld benötige. ›Cabernet Sauvignon‹ lautete Angelos Antwort. Die alten ›Nebbiolo‹-Reben für den ›Barbaresco‹ seien eindeutig zu alt, und deshalb gehöre den modernen Reben die Zukunft. Er wolle die alten Reben ausreißen und junge französische Reben pflanzen lassen, um einen ganz neuen Piemonteser Rotwein zu produzieren, einen, der auf der ganzen Welt für Furore sorgen werde. Im Piemont, wo Tradition das tragende Element der Weinproduktion war und ist, ist solches Ansinnen ein Affront gegen den Status quo.
Für Giovanni ein Ding der Unmöglichkeit, nicht zu vereinbaren mit der Familienehre und dem Ruf in der Branche – der Spott der Nachbarn sei ihnen sicher und das Risiko zu groß. Und so entstand ein handfester Streit der Generationen. Man sprach nicht mehr miteinander… bis der Vater dem Sohn ein Zugeständnis machte. Eine andere Rebfläche sollte es sein, nicht eine der großen Lagen oben an der Hügelkante, sonnenverwöhnt und mit der leichten Brise des Nachmittags, die die Pflanzen durchströmt, sondern eine Lage unten am Fuß des Hügels, mit weniger Sonnenstunden, wo kaum Regenwasser fiel und die stickige Schwüle am Nachmittag unerträglich war. Trotz allem ließ sich Angelo darauf ein. Für beide begann eine lange Zeit des Wartens. Der Jungwinzer war verbittert ob des geringen Vertrauens und hoffte auf die neuen Reben, die im kargen Boden ums Überleben kämpften und von Jahr zu Jahr nur langsam größer wurden, um dann endlich zu tragen.
»Darmagi, darmagi …« – »Was für eine Schande …«
Giovanni wurde älter und überließ dem Sohn nur zögerlich weitere Verantwortung, allerdings lediglich unter der Prämisse, bis zum Ausgang des Experiments die klassischen Methoden zu achten. Auf seinen langen Spaziergängen kam der Vater oft an dem neu bepflanzten Weinberg vorbei, wo Angelo, nicht selten schweißgebadet, die krüppeligen ›Cabernet‹-Reben beschnitt und düngte – und jedes Mal murmelte der Alte vor sich hin: »Darmagi, darmagi …« (»Was für eine Schande …«), und jedes Mal tat er es so, dass der Junge das Gesagte hören konnte.
Im Jahre 1982 brachte Angelo den ersten Jahrgang seines neuen ›Cabernet Sauvignon‹ auf die Flasche – und das Ergebnis machte seinen Vater sprachlos und die Weinwelt staunen. Die neuen Reben, die um jeden Sonnenstrahl und um jeden Tropfen Wasser kämpfen mussten, hatten einen dunklen, tanninreichen, vollen Wein hervorgebracht, vollmundig und trotzdem elegant, lagerfähig und wertvoll.
Doch dann: Überraschung für die Weinwelt
Der Vater blieb still und ließ den ganzen Geschmack und den langen Nachhall vergehen, bevor er den Mund öffnete, um etwas zu sagen. Doch Angelo bedeutete ihm zu schweigen und sagte: »Er soll ›Darmagi‹ heißen, Vater.«
Angelo Gaja ist heute der wohl bedeutendste Winzer Italiens und einer der bekanntesten Weinproduzenten der Welt. Nach wie vor ist der ›Darmagi‹ eines der Aushängeschilder seines Weinguts, aber auch die klassischen Weine des Piemont, der ›Barolo‹ und vor allem der ›Barbaresco‹, die er produziert, brauchen keinen Vergleich zu scheuen. Seinen Drang zur Moderne lebt er vor allem in der Maremma aus, dem küstennahen Teil der Toskana, wo er auf seinem neuen Weingut, ›Ca´Marcanda‹ in der berühmten Bolgheri-Zone in der Gemeinde Castagneto Carducci moderne Spitzen-Cuvées nicht nur aus ›Cabernet Sauvignon‹ und ›Sangiovese‹, sondern auch aus ›Syrah‹, ›Merlot‹ und ›Cabernet Franc‹ produziert.
Während der ›Darmagi‹ heute weit im dreistelligen Eurobereich zu finden ist, machen uns von PLANET WEIN gerade diese Weine viel Spaß. Angefangen vom Einstiegscuvée ›Promis‹ über den schon herausragenden ›Magari‹ bis hin zum Top-Wein Ca´Marcanda.
Viel Spaß beim Verkosten wünscht Matthias Martens
Übrigens, Kapitel 2 der Rotweinzeit beschäftigt sich mit dem Wein eines Wahnsinnigen...
Gastbeitrag von Matthias Martens. Im Gentleman-Blog schreibt der Weinliebhaber und Inhaber des Berliner Weinladens Planet Wein regelmäßig über die vielfältige und geschmackvolle Welt der Weine.
Ich kann mich Heinrich nur anschließen. Vielleicht wäre der Wein nicht so bemerkenswert geworden, hätte er sich die Lage aussuchen können. Und Widerstand stachelt in diesem Fall bestimmt nur an, noch mehr Energie auf ein aussergewöhnliches Resultat zu verwenden.
Als nächstes gern was über einen Extrem-Traditionalisten, der sich nicht um „neue“ Rebsorten und Methoden kümmert.
Schöne Geschichte! Was kostet denn so eine Flasche des guten Tropfens?