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Ernährung und Leistungsfähigkeit: „Der Übergang zu Doping ist fließend“

Ernährung und Leistungsfähigkeit: „Der Übergang zu Doping ist fließend“

Ernährungsexperte Günter Wagner berät Spitzensportler in Ernährungsfragen. Im Interview mit dem Gentleman-Blog erklärt er anschaulich, warum sich die Essgewohnheiten von Männern und Frauen unterscheiden, wie sich die Ernährung auf die geistige und körperliche Leitungsfähigkeit auswirkt, und warum der Fußball weniger anfällig für Doping ist als andere Sportarten.

Herr Wagner, es scheint, als seien Männer deutlich weniger ernährungsbewusst als Frauen. Können Sie das bestätigen?

In der Tat: Männer essen am liebsten Fleisch, Frauen greifen dagegen mehr zu Obst und Gemüse. Das ist auch das Ergebnis einer Studie, an der 14.000 Amerikaner ein knappes Jahr lang teilgenommen haben. Wer kennt es nicht aus eigener Beobachtung: Er bestellt Schnitzel mit Pommes und ein Weizenbier, sie den Salatteller mit Putenbrust und Mineralwasser.

Warum ist das so?

Frauen sind emotionaler veranlagt und machen sich mehr, manchmal auch zu viele Gedanken über ihre Gesundheit. Doch neue Männer hat das Land. Es gibt mittlerweile immer mehr Männer, die sich mit dem Thema Ernährung und mit dem Themenbereich Essen & Trinken bewusst beschäftigen. Und das aus guten Gründen. Besonders bei Spitzensportlern gehört dieses Thema mittlerweile zum Berufsalltag.

Als Ernährungsexperte beraten Sie Spitzensportler wie Michael Schumacher, Fabian Hambüchen, Timo Boll sowie mehrere Vereine aus der Fußball-Bundesliga. Wie ist es im Profifußball um das Ernährungsbewusstsein bestellt?

Wie wichtig die Rolle der Ernährung in einem Fußballverein genommen wurde, hing lange Zeit stark von dem jeweiligen Trainer ab. Mittlerweile ist die Ernährungsberatung und das Speisen- und Getränkemanagement fester Bestandteil der sportmedizinischen Betreuung der meisten Bundesligaclubs. Heute wird das Speise- und Getränkeangebot, sowohl während eines Trainingslagers als auch direkt vor und nach dem Training und den Spielen, an die individuellen Bedürfnisse der Spieler angepasst. Häufig wird sogar das soziale Umfeld der Spieler, wie die Lebenspartnerinnen, mit in die Ernährungsbetreuung integriert.

Warum hat sich der Profifußball lange Zeit so schwergetan, ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen?

Bei einem Leichtathleten beispielsweise sind die positiven Auswirkungen einer individuellen, sportartgerechten Ernährung sehr konkret messbar und für den Sportler erlebbar. Er läuft schneller, springt weiter, wirft den Diskus oder den Speer weiter. Im Fußball hingegen sind für ein erfolgreiches Spiel sehr unterschiedliche und manchmal auch gegenläufige Faktoren entscheidend, wie Konzentration, Koordination, Ausdauer und Schnellkraftausdauer, aber auch Schiedsrichterentscheidungen, Platzverhältnisse, die Passgenauigkeit der Mitspieler, das Zweikampfverhalten des Gegners und vieles andere. Die Zahl möglicher Ausreden ist in Mannschaftssportarten wie Fußball zudem größer als bei Individualsportarten wie Leichtathletik, Triathlon oder Tennis.

Gibt es Studien darüber, wie sich die Ernährung auf die Resultate einer Mannschaft auswirkt?

Eine der ersten Ernährungsstudien mit Fußballspielern stammt aus Schweden. Im Rahmen der Studie spielte eine Spielergruppe, die in der Woche zuvor mit einem Ernährungsplan kohlenhydratreich versorgt worden war, gegen ein Team, das sich mit üblicher Kost ernährt hatte, die entsprechend weniger Kohlenhydrate enthielt. Bei den Spielern, die sich kohlenhydratreich ernährten, konnte vor und nach dem Spiel sowie in der Halbzeitpause eine höhere Glykogen-Konzentration im Muskel nachgewiesen werden.

Was bedeutet das?

Dies spiegelte sich vor allem in einer höheren Laufleistung wider. Die Spieler der erstgenannten Mannschaft liefen in der ersten Halbzeit durchschnittliche sechs Kilometer, die anderen fünf. In der zweiten Hälfte schaffte die mit Kohlenhydraten besser versorgte Elf immer noch sechs Kilometer pro Mann, die andere nur noch vier. Zudem war der Anteil der im Sprint zurückgelegten Laufstrecke in der kohlenhydratreich versorgten Gruppe deutlich höher.

Über die Anzahl der erzielten Tore sagt diese Studie jedoch noch nicht direkt etwas aus.

Natürlich nicht. Wird jedoch die potenzielle Laufleistung mit der Statistik verglichen, in welcher Spielminute Treffer erzielt werden, wird ein Zusammenhang deutlich. Im Fußball werden besonders viele Treffer in den letzten 15 Spielminuten erzielt, was vor allem auf die einsetzende Müdigkeit zum Spielende hin zurückzuführen ist. Müde Spieler sind sowohl in ihrem technisch-taktischen als auch ihrem konditionellen Leistungsvermögen begrenzt. Die einsetzende Ermüdung steht in direktem Zusammenhang mit der Leerung der Energiespeicher, und hier insbesondere mit der Entleerung der Glykogenspeicher. Das zeigt auch eine weitere Studie aus der Premier League in England.

Und zwar?

Ernährung im Fußball - Auswirkungen auf die TrefferbilanzEs ist eine sehr eindrucksvolle Studie, die vielen Vereinen die Augen geöffnet hat. Die Abbildung zeigt Tore und Gegentore in den jeweiligen Spielminuten bei den Mannschaften in den englischen Profi-Ligen, die neben einem gezielten Fußball- und Ausdauertraining auch einen abgestimmten Ernährungsplan verfolgen. Auffällig ist, dass diese ernährungsmäßig betreuten Mannschaften im Laufe eines Spiels mehr Treffer erzielen und der Anteil der Gegentore abnimmt.

Bis in die 1980er Jahre herrschte beim Fußball in der Trainingslehre die Meinung vor, dass die Spieler wenig trinken sollen.

Mythen und Irrmeinungen brauchen lange, um nicht mehr im Alltag gelebt und praktiziert zu werden. Das ist aber nicht nur im Fußballsport so. In der Wissenschaft gilt die Regel, dass eine neue Erkenntnis drei bis vier Wissenschaftler-Generationen benötigt, um sich durchzusetzen. Im Fußball dürfte es sich dann um Trainer-Generationen handeln. In der ersten Generation wird eine neue Erkenntnis widersprochen, in der zweiten ignoriert und erst in der dritten Generation der Wissenschaftler und Trainer wird diese neue Erkenntnis dann Schritt für Schritt anerkannt und übernommen, bevor diese dann in der vierten Trainer-Generation zum Allgemeinwissen gehört.

Was passiert im Körper, wenn man zu wenig trinkt?

Ein chronischer oder temporärer Wassermangel ist die Hauptursache für eine körperliche und auch mentale Leistungsminderung. Jede chemische Reaktion im Körper, einschließlich der Energieproduktion, findet im Umfeld von Wasser statt. Wenn das Blut, das Gehirn, die Muskeln und andere Organe nicht die optimale Menge Wasser enthält, sind diese Organe nicht optimal funktionsfähig. Während einer sportlichen Aktivität, wie dem Fußballspiel, gelingt es selten, die sportbedingten Schweißverluste vollständig auszugleichen. Von daher kommt dem Trinken vor und nach dem Sport eine hohe Bedeutung zu. Das „Fritz-Walter-Wetter“ kam unserer Mannschaft im WM-Finale 1954 also nicht nur wegen der Stollen von Adi Dassler entgegen, sondern auch, weil die Spieler durch das Regenwetter weniger Flüssigkeit verloren haben und dadurch leistungsfähiger blieben.

Zu welcher Ernährung raten Sie Sportlern im Vorfeld eines Spiels, um beim Spiel am Sonntagmittag ausreichend Power zu haben?

Wichtig ist das Timing der Mahlzeiten. Die letzte größere Mahlzeit sollte etwa drei bis vier Stunden vor dem Spiel oder Training eingenommen werden. Diese Mahlzeit ist relativ kohlenhydratreich zu gestalten, also Beilage verdoppeln und Fleischportion halbieren, und sollte hauptsächlich aus Lebensmitteln mit einem mittleren oder niedrigen Glykämischen Index – kurz GI – bestehen. Der Glykämische Index gibt an, wie schnell die Kohlenhydrate aus den jeweiligen Lebensmitteln bzw. Mahlzeiten vom Körper aufgenommen und wie lange sie dem Körper Energie zur Verfügung stellen. Neben der Ernährung ist auch eine ausreichende Trinkmenge wichtig, bei üblicher Lebens- und Ernährungsweise etwa zwei Liter am Tag. Um optimal hydriert das Spiel oder das Training zu beginnen, sollte man zwei bis drei Stunden vor dem Spiel oder Training 200 bis 500 ml trinken.

Das Gehirn trifft die Entscheidung, der Körper führt aus. Was ist eine gute Gehirnnahrung zur Steigerung der Konzentration und mentalen Leitungsfähigkeit?

Obwohl das Gehirn nur rund zwei Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht es rund 20 Prozent der gesamten Energie. Ebenso ist der Blutdurchfluss etwa zehnmal höher als im Muskelgewebe. Der Kohlenhydrat-Baustein Glukose ist die einzige Energie, die sowohl von Fußballspieler während des Spiels als auch von Managern, Studenten und Schülern für Konzentration und Reaktion genutzt werden kann. In zahlreichen Studien konnte gezeigt werden, dass die Nahrungsaufnahme akut geistige Leistungen wie Reaktionszeit, Aufmerksamkeit oder auch Wachheit und Gedächtnis positiv beeinflussen.

Wie kann man dem im Alltag Rechnung tragen?

Sehr ausgeprägt sind die Verbesserungen durch ein Frühstück gegenüber denjenigen, die am Morgen kein Frühstück zu sich genommen haben. Süß statt herzhaft wirkt sich hier besonders vorteilhaft auf die kognitive Leistungsfähigkeit aus. Um die Gehirnzellen optimal mit den notwendigen Nähr- und Energiestoffen versorgen zu können, ist zudem eine ausreichende Getränkeaufnahme die erforderliche Ausgangsbasis. Und für individuelle Spitzenleistungen gilt weiterhin: Nippen statt kippen, und trinken bevor der Durst kommt.

Und was sollte man nach dem Sport zu sich nehmen, um möglichst gut zu regenerieren?

Auch wenn der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger mit dem viel zitierten Satz „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel“ nicht unbedingt die fußballgerechte Ernährung gemeint haben dürfte, beschreibt diese Aussage doch sehr deutlich die Anforderungen der Ernährung nach einem Spiel. Je früher das nächste Spiel ansteht, desto wichtiger sind die Menge und, der Zeitpunkt der Mahlzeitenaufnahme sowie der Kohlenhydratgehalt. Eine Aufnahme von Kohlenhydraten unmittelbar nach einer Belastung führt zu einer höheren Wiederauffüllung verbrauchter Kohlenhydratspeicher als zu jedem späteren Zeitpunkt.

Zu welchem Getränk raten Sie Sportlern?

Ein sehr positives Sportgetränk nach dem Training und Spiel ist isotonisches, alkoholfreies Bier. Im Gegensatz zu Mineralwasser enthält Bier – auch die alkoholfreien Varianten – neben Kohlenhydraten auch wertvolle Mengen vom Mineralstoff Kalium. Dieser Mineralstoff wird zur Regeneration, zur Wiederauffüllung der entleerten Kohlenhydratspeicher, unbedingt benötigt.

Wann machen Pillen und Nahrungsergänzung für Sportler Sinn?

Auch im Fußballsport ist die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln weit verbreitet – unabhängig davon, dass den meisten Produkten ein schlüssiger und ausreichender Wirkungsnachweis fehlt. Sinnvoll sind diese Produkte unter ernährungsphysiologischen Gesichtspunkten nur, wenn der Fußballspieler aufgrund einer extremen körperlichen Belastung nicht in der Lage ist, seinen spezifischen Nährstoffbedarf über die normale Nahrung aufzunehmen. Das ist jedoch nur sehr selten der Fall.

Wo hören eigentlich Nahrungsergänzung und Vitaminpräparate auf, und wo beginnt Doping?

Der Übergang ist in der Tat fließend. Rein formal und salopp ausgedrückt ist Doping die verbotene Einnahme von Substanzen, die auf der Dopingliste stehen. Denn nicht alles, was die Leistung steigert, wie die Ernährung, ist unerlaubtes Doping. Was auf der Dopingliste steht, ist nicht in Stein gemeißelt und für die Ewigkeit festgeschrieben. Die Liste ist vom jeweiligen Erkenntnisstand abhängig und veränderbar.

Wann kommt eine Substanz auf die Dopingliste?

Pauschal formuliert müssen dafür mindestens drei Kriterien erfüllt sein:
1. Die Substanz kann eine leistungssteigernde Wirkung entfalten.
2. Die Substanz hat eine gesundheitsgefährdende Wirkung.
3. Die Einnahme dieser Substanzen lässt sich im Blut, im Urin oder auf einem anderen Wege sicher und einwandfrei nachweisen.

Im Fußball kommen nur sehr selten Dopingfälle ans Licht. Sollte es wirklich wahr sein, dass es ausgerechnet in dem Sport, mit dem am meisten Geld umgesetzt wird, kein Dopingproblem gibt?

Doping im Fußball macht unter Leistung steigernden Gesichtspunkten – insbesondere im Vergleich zu anderen Sportarten wie Radsport – weniger Sinn, da Fußball eine sehr komplexe Sportart ist, und es sich nicht um eine reine Ausdauer- oder Kraftsportart handelt. Dennoch dürfte es auch im Fußballsport, auch aufgrund der stetig gestiegenen physischen Anforderungen, ein zunehmendes Doping-Risiko geben. Deshalb führen sowohl der DFB als auch die UEFA regelmäßige Kontrollen bei Spielen unangekündigt beim Training der Mannschaften durch. Seit der Saison 2013/14 sind erstmalig neben Urin-Kontrollen auch Dopingkontrollen über Blutanalysen vorgesehen.

Günter Wagner arbeitet in Bad Nauheim beim „Institut für Sporternährung“ und ist Autor des Buches „Essen – Trinken – Gewinnen: Praxishandbuch für die Sporternährung“.

Lesen Sie auch:
Ernährungsethik – Der Mensch ist, was er isst
Was man vom Fußball über das Leben lernen kann
Psychologie des Erfolges – Was Sportler motiviert

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Kommentare (4)

  1. Mai 8, 2014

    Im Prinzip ist es so das weiter nach energiereicher Nahrungsergänzung gesucht wird, welche über einen langen Zeitraum Energie bereitstellt aber ohne den Verdauungsapparat zu stark zu belasten. Leider kommt es bei den Bemühungen oft an die Steroide Grenze…

  2. Sep 18, 2013

    Vielen Dank für den ausführlichen Artikel zum Thema Leistungsfähigkeit.

  3. Aug 24, 2013

    Ich empfehle Dir etwa 1,5 bis 2 Stunden vorm Spiel oder Training keine große Mahlzeit mehr zu Dir zu nehmen. Die Verdauung raubt sehr sehr viel Energie, welche Dir dann später in der einen oder anderen Aktion fehlen könnte. Mit vollem Magen spielt es sich einfach nicht gut. Du wirst schneller müde, bist unmotiviert und hast nur wenig Kraft. In so einer Verfassung wirst Du im Fussball keine guten Leistungen hervorbringen können.

  4. Marc Koch
    Aug 20, 2013

    Vielen Dank für diesen ausgezeichneten und sehr informativen Artikel!

    Beste Grüße, Marc Koch

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