Reifeprüfung
Whisky: Je älter, desto besser?
Je älter, desto teurer wird Whisky in der Regel. Doch wird er mit der Zeit auch automatisch besser? Dieser Frage ging unser Autor Roland Graf anlässlich der Vorstellung eines unglaubliche 78 Jahre im Fass gelegenen „Macallan“ nach. Außerdem gibt er Tipps, wie man solch eine Rarität am besten verköstigen sollte.
100.000 Pfund für eine 78 Jahre alte Flasche Whisky
In der Destillerie Macallen sind die ältesten Whisky-Bestände der an sich schon recht exklusiven Brennerei rot gekennzeichnet. Diese sogenannte „Red Collection“ wurde um Flaschen erweitert, deren Preisschild ebenso einfach zu merken wie unglaublich zu fassen ist: 100.000 bzw. 125.000 Pfund.
Ein Grund für diese hohen Preise: Die Menge des ins Eichenfass gelegten Whiskys wird im Laufe der Zeit durch die Verdunstung immer weniger. Mathematiker werden darin eine „exponentielle Verminderung“ erkennen, was quasi Zinseszinsrechnung mit negativem Vorzeichen bedeutet. Der Schwund ist beträchtlich: Bereits ein zehnjähriger Whisky büßt im Fass ein gutes Fünftel seiner ursprünglichen Füllmenge ein. 34 Jahre dauert es bei konstanten 2% Verdunstung in Schottland, dass sich der Whisky halbiert. Nach 70 Jahren schrumpft der Fassinhalt eines 500 Liter-Sherry Casks auf gerade einmal 121,5 Liter zusammen!
Bild: Whiskyproduktion in der modernen Anlage von Macallen
Schwindende Mengen, steigende Preise
Hier darf von den Produzenten allerdings gegengesteuert werden, um nicht mehr Sauerstoff als Destillat im Fass zu haben: Fässer können mit gleich altem (!) oder älteren Whisky aufgefüllt werden. So kann also aus zwei halb leeren Fässern im Notfall wieder ein volles erstellt werden.
Dass Jahrzehnte alte Abfüllungen so hohe Preise erzielen, liegt auch an einer Finesse des „Scotch Whisky Technical File“, der Gesetzesgrundlage für Single Malts. In anderen Brenn-Traditionen sind 40 Jahre alte Brände nämlich keine Seltenheit – und deutlich günstiger!
Ein 1976 destillierter Cognac des Hauses Normandin Mercier etwa kostet im Online-Shop des Herstellers 350 Euro. Ein Ardbeg-Whisky des Jahrgangs 1975 geht für rund 2500 Euro über die Ladentheke. Zum Vergleich: Der jüngste aus der „Red Collection“ Macallans, ebenfalls 40 Jahre gelagert, kostet über 20.000 Euro. Der
Grund für den Preisunterschied: Der Cognac hat keine 40 Jahre im Fass verbracht, sondern wird in der Regel in Glasballons („dames-jeannes“) umgefüllt. In diesen gläsernen Gebinden erfolgt keine Nachreifung mehr, sondern nur die reine Alterung.
Die „Ladenhüter“ von früher sind heute Gold wert
Dieses Vorgehen ist den Schotten aber verboten. Whisky muss im Fass verbleiben! Damit übernimmt nicht nur das Eichenholz immer mehr die Aromatik, auch der Alkohol nähert sich nach vielen Jahrzehnten durch die Verdunstung irgendwann einer Marke, an der er unter die gesetzliche Marke fällt, die für die Kategorie „Scotch Whisky“ vorgeschrieben ist.
Beim „71 years“ Whisky etwa waren es gerade noch 41,6% vol. Fällt der Alkohol einmal unter 38% vol., ist es aber erlaubt, ihn mit über 40%-igem Whisky aufzufüllen. Allerdings sollte das tunlichst gleichaltriger Whisky sein, denn sonst ändert sich auch die Altersangabe. Der Traum vom 100-jährigen Whisky wird also an der Physik scheitern.
Älter = besser?
Was heute nicht zurückgelegt wird, ist in der Zukunft nicht verfügbar. Somit gibt es ein Paradoxon: Ein schlechter Whisky-Absatz heute bedeutet für später immer auch die Verfügbarkeit größerer Mengen reiferer Jahrgänge.
Nicht zuletzt angesichts der hohen Preise stellt sich jedoch eine Grundfrage: Wie gut schmeckt ein solcher Methusalem? Gilt die Gleichung „älter = besser“ überhaupt? „Das zu generalisieren ist schwierig. Jenseits der 30 Jahre Reife kommen gerne tropische Noten wie Mango oder Passionsfrucht“, erklärt Brand Education Manager Sietse Offringa von Maccallen.
Doch wie so oft in der Whisky-Welt ist auch diese Entwicklung relativ zu sehen. Denn die exotischen Früchte an sich hatte auch die erste Abfüllung des ca. 15 Jahre alten „Amber“ aufzuweisen. Die einzige Konstante, scheint es, sei das Holz: „Ob 18 Jahre oder 78: Das bleibt immer gleich“, so Offringa. Womit die Sherry-Fässer früherer Jahrzehnte deutlich mehr Farbe und Aroma abgeben als heutige. Knallrote Whiskys, wie etwa der 1974er von Balvenie, sind keine Legende. Denn ehe der Single Malt in sie hinein wanderte, lagerten in den Fässern jahrzehntelang spanische Weine.
Bild: Der atmosphärische Whiskykeller von Macallen
Ab 50 Jahren wird es holzig und rauchfrei
Eines der wenigen Grund-Gesetze des langen Reifens ist, dass ein eventuell vorhandener Rauchgeschmack mit der Zeit weniger wird. Auf der Hebrideninsel Islay, weltberühmt für die Torfmalz-Whiskys, gibt es dafür den Spruch: „From peat to sweet“ („vom Torf zur Süße“). Bei Whiskys, die jenseits der 50 Jahre als sind, schmeckt man eher die getoasteten Aromen des Fasses und keinerlei Torfrauch mehr.
Wie man einen reifen Whisky verköstigen sollte
So schwierig die Entwicklung eines Single Malts zu antizipieren ist, so sinnvoll sind die drei Tipps für mehr Genuss mit reifen Whiskys:
- Trinke ihn nur mit guten Freunden, nie für Dich ganz allein!
- Nimm Dir Zeit für etwas, das so viele Jahre für diesen Moment gereift wurde. Eine schöne Geste wäre, die Jahre in Minuten zu genießen – als sich mit einem „30 years“ auch eine halbe Stunde in allen Facetten auseinanderzusetzen.
- Rolle den roten Teppich für diese seltenen Schlucke aus! Ein Schluck Wasser vorab reinigt und neutralisiert den Gaumen – damit der „dram“ danach in allen Facetten glänzen kann.
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