„Spritz“ mit Stil – Herb-frische Sommerdrinks
Lustig schauen sie ja aus, doch die Zeiten der bunten Schirmchen-Drinks endeten – je nach Lebensalter – mit den 1980er Jahren oder dem letzten Kindergeburtstag. Sommerdrinks müssen aber nicht Ferrari-Rot und Gras-Grün sein, vielmehr kommt es auf den Erfrischungscharakter an. Und der braucht zwei ganz andere Ingredienzen, erinnert Gastautor Roland Graf in einem spritzigen Crashkurs.
Man soll im Sommer ja nicht nur träge am Strand liegen, daher gleich einmal eine Schätzfrage: Seit wann gibt es „Hugo“ und „Spritz“, die beliebten Terrassen-Drinks? Weitgehende Einigkeit herrscht darüber, dass der „Hugo“ – allerdings mit Zitronenmelissen- statt Holunder-Sirup – erstmalig 2005 in der Bar „San Zeno“ in Naturns/Südtirol serviert wurde. Mit Roland Gruber kennt man auch den Erfinder des gerade mal zwölf Jahre alten Erfrischungsgetränks. Er wurde, so erzählt er gerne, „für Frauen kreiert, aber von allen getrunken“. Serviert wird das Original mit Eiswürfeln im Weinglas, darin werden vorsichtig 2cl Zitronenmelissen-Sirup mit einigen Blättern Minze und 15cl kaltem Prosecco verrührt und mit einem Spritzer Soda vermischt. Und, so Gruber, der „Hugo“ lebt von seiner Frische, er sollte also immer á la minute gemixt werden.
Beim „Sprizz“, wie ihn die Italiener gerne schreiben, liegen die Dinge etwas anders. Das erste schriftliche Rezept des „Spritz“ wurde 1979 auf Friulanisch abgedruckt und gibt ein älteres, handschriftliches Rezept aus dem Haushalt der Donna Salvatori de Zuliani wieder. Es soll laut der Autorin Mariù Salvatori de Zuliani, von der „Venezia nel bicchiere” stammt, aus Padua kommen. Der Haken ist, es hat wenig mit der uns geläufigen Version gemeinsam: 15cl trockener Weißwein wurden dabei mit 5cl „irgendeines Bitters“ gemischt; zum Beispiel mit Cynar, China Martini oder Bitter Campari.
Die Legende vom Spritz(er)
Der Triestiner Kochhistoriker Alessandro Marzo Magno („Il genio del gusto“) hat das Rezept übersetzt und nimmt an, dass es mit Cynar gemixt wurde. Denn so trinkt die venezianische Oberschicht ihren „Spritz“ und das gibt uns einen wichtigen Hinweis: Digestif-Liköre sind ein sommerlicher Geheimtipp mit Tradition. Denn herbe Noten erfrischen weit besser als süß-klebrige Sommerdrinks, auch wenn sie poppiger aussehen mögen in Rot, Grün und Azurblau. Der Cynar-Spritz kann da wenig bieten mit seiner braunen Färbung. Dafür erfrischt er besser.
Die eisgekühlte Erfrischung, die mit weniger Alkohol, dafür mehr herben Noten versehen ist, stellt jedenfalls keine Erfindung moderner Gastgärten dar. Vor allem mit Tonic Water aufgegossene Liköre waren schon im vorigen Jahrhundert ein sommerlicher Geheimtipp. Spätestens mit dem in der jüngeren Spirituosen-Geschichte einzigartigen Absatz des Rhabarberlikörs Aperol kam dann mehr Farbe ins Spiel. Dabei entscheidet letztlich nur der persönliche Geschmack darüber, ob es eher ein „Fizz“ (Spirituose, Säurequelle und Soda) oder „Spritz“ (Likör, Prosecco und Soda) sein soll.
Zu letzterem erzählt man in den Barkeeper-Kursen der Mailänder „Academia Campari“ gerne, dass er aus der Weinschorle hervorgegangen sei. Der Name weise auf die österreichischen Soldaten des 19. Jahrhunderts zurück. Diese hätten eben die schweren italienischen Weine nicht vertragen und daher mit Wasser „verlängert“, was man in der Alpenrepublik bis heute einen „Spritzer“ nennt. Es ist eine politisch gefärbte, historisch allerdings schwer zu haltende Geschichte, denn der „Spritzer“ hat durch die Kombination von leichter Süße und spritziger Kohlensäure mit einer würzig frischen Note – die Minzblätter in vielen Drinks haben nicht nur dekorativen Wert – und leichter Bitterkeit wenig zu tun.
Mediterrane Erfrischungsformel des Sommers
In Varianten findet sich diese Kombination der Basis-Aromen überall rund um das Mittelmeer. Vom portugiesischen Geheimtipp (weißer!) Portwein und Tonic bis nach Frankreich (Weinaperitifs und Rosenlimonade) reicht die Palette. Österreichs Großväter tranken in den Sommern der 1970er gerne Rossbacher (einen dunklen Kräuterlikör) mit Tonic Water, in Süditalien darf es anstelle dessen gerne der Amaro Montenegro sein, der so aufgespritzt wird. Und der offizielle Wimbledon-Drink, der „Pimm’s Cup“, in dem Gurkenscheiben und Erdbeeren schwimmen müssen, ist mit seiner herb-süßen Mischung so etwas wie die nördliche Ableitung der mediterranen Erfrischungsformel.
Während in der Grande Nation auch die alkoholfreie Erfrischung viele Farben kennt – vom giftgrünen Sirop de Menthe (Minze) bis zum Veilchen-Spritzer – erstrahlen die Gläser hierzulande heute meist monochrom in Rot oder Orange. Seltener sieht man Grau- bis Brauntöne im Sommer.
Kein kalter Kaffee ist dieser kalte Kaffee
Eine sizilianische Eröffnung gibt es nicht nur beim Schach; auch einen genuin sommerlichen Apéro hat man auf der Insel mit dem lange nachwirkenden arabischen Einfluss kreiert. Die Sherbet-Technik der früheren Statthalter wurde nicht nur sprachlich zum Sorbetto, auch die Granita folgt dieser Aromatisierung von Wasser-Eis. Im heißen Sommer mit Blick Richtung Afrika wird statt Cappuccino schon zum Frühstück Granita di Caffè gelöffelt. Auch hier geht es um den Zucker, denn im Gegensatz zum Milcheis fehlen hier Milch und Sahne. Frische Früchte, etwa die ebenfalls herben Zitronen der Insel, oder eben Espresso kommen zum Wasser. Diese an sich schon einfache Methode lässt sich für das „Eis der Armen“ noch vereinfachen, wie ein Blick in die Karibik zeigt. Die in Trinidad und Tobago leger im Zeitungspapier gereichten „Snow Cones“ mögen zu Beginn kein Getränk sein, sondern eher ein Gebilde aus shaved ice, das mit Sirup beträufelt wird. Durch das Schmelzwasser verbinden sich die Aromen jedoch zu einem Grenzgänger zwischen Eis und Getränk.
Moderner nennt man das „Slushee“ und die Maschinen mit dem Rührwerk für die aromatisierten Eiswürfelchen sieht man auch in unseren Breiten immer häufiger. Eine gewisse Türöffner-Funktion in die Bar-Welt darf man dabei dem noblen Langham Hotel in London beziehungsweise dessen „Artesian“-Bar zubilligen. Der mittlerweile aus dem Unternehmen ausgeschiedene Alex Kratena pflegte Gäste, mit einer Slushee-Version der Piña colada zu verabschieden. Mehr Sommer-Feeling geht kaum!
Doch zurück zum Eis-Kaffee, denn auch der feiert ein Comeback. Denn nicht jeder stellt seinen Espresso schon rechtzeitig am Vortag kalt. Falls doch: Intensiver einkochen als sonst, der Espresso wird später mit Eis und/oder Wasser verlängert. Man kann ihn jedoch auch noch verfeinern, wie es der Brandenburger Bartender Bert Jachmann tut. Sein „Negroni au café“ schließt quasi die beiden Traditionen – herbe Kräuter und Granita – des Sommerdrinks miteinander kurz. Dafür nimmt der Barchef des „heuer“ in Wien eine frische Orangenzeste und lässt den Espresso direkt auf diese laufen und eine halbe Minute ziehen. In ein mit Eiswürfeln gefülltes Glas kommen nun 5cl roter Wermut (Jachmann nimmt den aus Wien stammenden „Burschik Red“) und 2cl Campari. Das Ganze wird nun mit dem aromatisierten Kaffee verrührt und mit einer weiteren Orangenzeste dekoriert.
Substanz siegt hier über Style. Der dunkle Drink erfrischt nicht nur, er zitiert auch zwei Sommerklassiker. Womit für den kenntnisreichen Small Talk bei der nächsten Gartenparty oder am Strand gesorgt sein dürfte. In diesem Sinne: Cin cin!
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