Inspiriert von Oscar Wilde
Ein Mann, ein Duft: Dorian Gray & Opus 1870 von Penhaligon’s

Darf man beim Geburtsdatum schwindeln? Aber sicher doch! Unser heutiges Duo beweist jedenfalls, dass Zeit an sich ein äußerst inkonsequentes Phänomen ist. Während Oscar Wildes Romanheld Dorian Grey seinem Alter mit finsterer Magie ein Schnippchen schlägt, versteckt der Duft von Penhaligon’s die Jugend hinter einer viktorianischen Maskerade. Im Rahmen unsere Serie „ Ein Mann – ein Duft“ verraten wir Ihnen, welche Strategie mehr Erfolg verspricht.
Oscar Wildes hedonistsicher Romanheld Dorian Gray
Wenn es zu Zeiten Oscar Wildes bereits Botox-Spritzen, Silikonkissen und Liposuktion gegeben hätte, wären wir heute wahrscheinlich um ein Stück Weltliteratur ärmer. So jedoch kam der großartige Dandy und Lebemann nicht umhin, an sich selbst die Spuren der Jahre und die Folgen üppiger Ausschweifungen zu beobachten. Als Antwort darauf entstand die autobiographisch gefärbte Figur des Dorian Gray, welcher alles besaß, wonach sein Schöpfer sich so sehnte: Schönheit, ewige Jugend und ein Leben in zügellosem Hedonismus.
Der Kampf um die ewige Jugend ist in unserer Gesellschaft längst Alltag geworden und nimmt dort bisweilen groteske Formen an. Parallel dazu sehnen sich immer mehr Leute nach der «guten, alten Zeit», solange sie keine Spuren im eigenen Gesicht hinterlässt. Das von Queen Victorias Hofparfümeur gegründete Traditionshaus Penhaligon’s in London hat den Trend erkannt und im Jahr 2005 einen Duft gemischt, der klassische Bestandteile der Herren-Parfümerie auf eine moderne, leichte und verspielte Art interpretiert. Alter Wein in neuen Schläuchen also – ein Experiment, das oftmals zu fragwürdigen Resultaten führt. Ist Opus 1870 nun aber die Regel oder die Ausnahme?
Der schöne Schein tut’s nicht allein
Ein Experiment ganz anderer Art wagt Dorian Gray, als er die Seele hergibt, um die Spuren von Alter und Exzessen seinem Portraitbild aufzubürden. Derart von den Konsequenzen seines Tuns befreit, stürzt er sich alsbald in einen dekadenten Strudel aus Sex, Drogen und Polka-Tanz. Auf seiner Irrfahrt von den Ballsälen durch die Schlafzimmer der feinen Gesellschaft hinab zu den menschlichen Abgründen bringt er allen, die ihm zu nahe kommen, Schmerz, Verzweiflung und sogar den Tod. Trotzdem bleibt dem strahlenden Adonis kaum eine Türe verschlossen, denn niemand vermutet den verdorbenen Kern unter der makellosen Schale.
Ohne Fehl und Tadel präsentiert sich auch die Schale von Opus 1870. Die Verpackung zieren nostalgische Illustrationen von Barbierwerkzeugen, der Flakon orientiert sich wie bei Penhaligon’s üblich an der klassischen Parfum-Flasche mit Glaspfropfen. Unter diesem verbirgt sich in diesem Fall ein handelsüblicher Pumpzerstäuber – nicht ganz stilecht, aber unzweifelhaft praktisch. Eine schwarze Schleife und ein apartes Etikett runden das Bild ab, sie verleihen der schlichten Form eine nonchalante Eleganz. Der erste Eindruck ist also durchaus positiv – genau wie bei Dorian Gray. Lassen wir uns deshalb nicht von optischen Vorzügen blenden und vertrauen wir beim abschließenden Urteil lieber unserer Nase.
Gute Jungs kriegen keine Hauptrolle, böse Mädchen das Parfum ihres Freundes
Als Dorian Gray erkennt, wie hoch der Preis für die Unsterblichkeit tatsächlich ist, spricht er sein Todesurteil gleich selbst. Er stößt dem verfluchten Portrait einen Dolch ins Herz und sorgt damit für das läuternde Ende seiner Geschichte. Darin liegt aus heutiger Sicht auch die große Schwäche des Romans. Obwohl Oscar Wilde sich selber gerne als Vordenker eines dekadenten Lebensstils sah, war er im Kern durch und durch Moralist und damit ein typisches Kind seiner Zeit. Brav und gradlinig wandert sein Geschöpf durch die Kapitel der vorgezeichneten Erlösung durch gerechte Strafe entgegen. Einen wirklich glaubhaft von den Fesseln und Folgen der Moral befreiten Romanhelden präsentierte 1955 erst die geniale Autorin Patricia Highsmith. Neben ihrem talentierten Mr. Ripley wirkt Dorian Gray bestenfalls wie das patzige Patenkind von Micaela Schäfer und Harald Glööckler.
Mehr Klasse als die beiden prominenten Vorreiter der Geschmacks-Apokalypse beweist der Duft Opus 1870 von Penhaligon’s. Den Auftakt machen schwarzer Pfeffer, Koriander und Yuzu, wobei die exotische Zitrusfrucht aus China den Ton angibt. Auch die Herznote aus Gewürznelke, Zimt und Weihrauch fällt blumiger und lieblicher aus als erwartet. Moschus verleiht der trocken-würzigen Basis aus Sandel-, Zedern- und ominösem «Ciara»-Holz (von dem weder der Autor noch Google je gehört haben) eine angenehm warme, puderige Note. Alle Komponenten sind außerordentlich harmonisch aufeinander abgestimmt und gehen nahtlos ineinander über. Der Gesamteindruck ist kultiviert, edel, heiter – und auffallend geschlechtsneutral. Tatsächlich gehört Opus 1870 zu den wenigen Düften, welche zum eleganten Herren ebenso gut passen wie zur Dame von Welt. Damit ist den Parfümeuren von Penhaligon’s ein echtes Meisterstück gelungen, das in keinem gut sortierten Badezimmer fehlen sollte.
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Über den Autor
Der schweizer Bohemien Lindo Ganarin mit italienischen Wurzeln bloggt im Gentleman-Blog über seine Passion für Wohlgerüche und dankt Penhaligon’s für den exquisiten Duft, der Firma Albrecht & Dill für das Testmuster, Oscar Wilde für die Moral von der Geschicht‘ und Patricia Highsmith für den Beweis, dass es auch ohne geht.
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