Mehr als genug
Die Nachteile der Produktvielfalt
Eine gewisse Auswahl bietet Kunden viele Vorteile und wird von ihnen geschätzt. Nichtsdestotrotz gibt es negative Effekte der Produkt(zu)vielfalt, wie Marketing-Experte Dr. Martin Krengel im Gentleman-Blog anschaulich darlegt.
Anziehende Vielfalt
Auf der einen Seite gibt es viele Gründe, warum ein breites Angebot von Kunden geschätzt wird:
- Shopping macht Spaß und ist längst zu einem Lifestyle, ja zu einem Hobby geworden.
- Die Trefferquote wird erhöht. Einer der größten Vorteile umfangreicher Sortimente liegt in der höheren Wahrscheinlichkeit, das passende Produkt zu finden.
- Große Sortimente decken den Bedarf unterschiedlicher Nutzer besser ab.
- Die eigene Persönlichkeit kann besser zum Ausdruck gebracht werden. Gerade die Mode deckt das Bedürfnis nach Individualität mit immer neuen Schnitten, Farben und Stilen ab – ergänzt durch Schmuck, Accessoires etc.
- Schließlich bieten große Sortimente die Möglichkeit, das Risiko einer falschen Wahl durch eine breite Auswahl zu reduzieren.
Jein – Paradoxe Wahl
Auf der anderen Seite gilt die Faustregel „je größer das Angebot, desto besser“ aber nicht. Haben Sie schon einmal von dem „Marmeladen-Experiment“ gehört? Es verdeutlicht die Vor- und Nachteile von großen vs. kleinen Sortimenten wie kein Zweites. In einem Supermarkt in Los Angeles bauten die Psychologen Sheener S. Iyengar aus New York und Mark Lepper von der berühmten Stanford-Universität einen Stand auf, an dem zwei nette Damen Marmelade zur Verkostung anboten. Das Besondere: Die Anzahl der Sorten wechselten stündlich. In einer Stunde wurden 24 Sorten gezeigt, danach eine Stunde lang nur sechs Sorten. Im Laufe von zwei Tagen wurde heimlich gezählt, wie viele Leute auf den Stand aufmerksam wurden und eine Marmelade kosteten. Wenn 24 Sorten zu sehen waren, blieben 60 Prozent der Passanten stehen und wurden neugierig. Bei sechs Sorten waren es nur 40 Prozent. Ein Unterschied von 20 Prozent.
Das Experiment muss jedoch zu Ende betrachtet werden. Denn die Zahl der Interessenten ist die eine Seite der Medaille. Die Zahl der tatsächlichen Käufer die andere: Von denen, die sechs Marmeladensorten vor sich sahen, kauften ganze 30 Prozent ein Glas Marmelade. Wie sah es bei 24 Sorten aus? Finster! Hier erwarben nur magere drei Prozent ein Glas. Ein vergleichbares Experiment mit Schokoladensorten kam zu einem ähnlichen Ergebnis.
Lähmende Vielfalt
Als weiteres Beispiel dient der Datensatz einer amerikanischen Rentenversicherung. Es handelte sich um freiwillige Versicherungen, bei denen die Angestellten zwischen verschiedenen Fonds-Optionen wählen konnten. Der Abschluss der Versicherung an sich war freiwillig, aber vom System her so gestaltet, dass er klar zum Vorteil der Angestellten ausfiel. Der Datensatz erfasste 800.000 Angestellte und mehrere Unternehmen, die eine unterschiedliche Anzahl an Fonds anboten. Es gab Firmen, die nur zwei Optionen boten, andere bis zu 59 Optionen.
Dabei kam heraus: Die Zahl der sich freiwillig versichernden Arbeitnehmer sank umso stärker, je mehr Alternativen zur Auswahl standen. Schlossen bei zwei Optionen 75 Prozent der Arbeitnehmer eine Versicherung ab, waren es bei 59 Optionen nur 60 Prozent.
Angst vor der Fehlentscheidung
Gerade bei solch’ wichtigen Entscheidungen wie der Vorsorge wollen Menschen keinen Fehler machen. Die Gefahr einer Fehlentscheidung wird hoch bewertet. Bei den Fonds müssen verschiedene Risiken eingeschätzt und abgewogen werden. Und auch die Entscheidung für verschiedene Regionen, Anlageklassen und Zeiträume dürfte mit steigender Vielfalt nicht einfacher fallen. All’ das lähmt die Entscheidungsfindung.
Es gibt nachweisbare Kaufbremsen. Zum einen verfügen wir über einen beschränkten mentalen Prozessor. Jede zusätzliche Option zu prüfen, fordert von unserem Gehirn Aufmerksamkeit und gedankliche Anstrengung. Je mehr Alternativen zur Auswahl stehen, desto größer sind also diese „kognitiven Kosten“. Sie führen schnell zu einer Überforderung unseres Arbeitsgedächtnisses. Der Psychologe George A. Miller hat herausgefunden, dass die Grenze der menschlichen Aufnahmekapazität durchschnittlich bei sieben Informationen liegt.
Unser Kurzzeitgedächtnis ist demnach der Flaschenhals der Informationsverarbeitung. Es ist also kein Wunder, dass Konsumenten schnell überlastet sind, wenn sie versuchen, Produktinformationen auszuwerten und für sich in eine Präferenzrangfolge zu bringen. Es erfordert Zeit und Mühe, die eigenen mentalen Beschränkungen zu umgehen. So werden meist nur wenige Informationen für eine Entscheidung herangezogen, oder die Entscheidung wird vertagt. Die Auswahl wird schwerer, die Gefahr einer Fehlentscheidung wächst. Viele Interessenten wollen die Optionen später, „wenn sie Zeit haben“, genau prüfen. Aber, wer hat schon später Zeit?
Die zweite Kaufbremse sind emotionale Konflikte. Bei einer großen Auswahl entstehen neben der mentalen Belastung auch beträchtliche emotionale Kosten. Stellen Sie sich vor, Sie müssen sich zwischen zwei Jobangeboten entscheiden:
Während Job A ein tolles Gehalt und gute Aufstiegschancen bietet, liegt die Firma jedoch in der Pampa, und die starre Hierarchie ist nicht zu übersehen. Job B hingegen hat ein tolles Team, vielfältigere Aufgaben und liegt mitten in der Lieblingsstadt. Der Wermutstropfen ist allerdings die recht magere Bezahlung.
Wie entscheiden Sie sich? Die Frage ist wahrscheinlich nun, wie viel Schmerzensgeld Job A bieten muss, um B auszustechen. Die Präferenzen sind dabei nicht fest. An dem einen Tag scheint die Lage der Firma wichtig, an dem anderen Tag die Karriere. Und so geht es hin und her, hin und her.
Kompromisse tun weh
Die ständigen Kompromisse, die wir eingehen müssen, sind also das eigentliche Übel. Und sie tun uns weh. Die Situation gleicht Buridans Esel. Der Philosoph Johannes Buridan wählte zu diesem Phänomen bereits im Mittelalter die traurige Analogie zu einem Esel, der zwischen zwei großen saftigen Heuhaufen steht und sich einfach nicht entscheiden kann, welchen er fressen soll. Was passiert? Der Esel verhungert.
Ein Konsument wird heute zwar nicht mehr verhungern, aber er zumindest wird den Kauf verschieben oder sich bei der Konkurrenz umsehen, wenn das Angebot ihm ein zu hohes Maß an geistiger Anstrengung oder emotionale Konflikte abverlangt.
Lehre für den Gentleman
Grübeln Sie nicht zu lange. Die eierlegende Wollmilchsau gibt es nicht. Wer immer die perfekte Entscheidung treffen will, läuft Gefahr, sich gar nicht zu entscheiden und deswegen auf der Stelle stehenzubleiben oder sein Leben von anderen bestimmen zu lassen. Doch ein Gentleman nimmt sein Leben in die Hand. Dazu gehört, selbst und bewusst Entscheidungen zu treffen, auch wenn man die Qual der Wahl hat!
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Der Autor
Dr. Martin Krengel ist Lernexperte, Zeitmanagement-Redner und Autor mehrere Bestseller zu Produktivität, Selbstmotivation und Marketing. Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus seinem Buch Customer Navigation.
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Ich mache es auch lieber, schenll und schmerzlos. Hat sich bis jetzt immer gut bewährt. Wenn ich allerdings neue Stile kombiniere dauert die Entscheidung schon länger.
Sehr gutes Thema!
Bei Klamotten finde ich es recht einfach, da ich einen bestimmten Stil habe, der mir gefällt. Gut, die Qualität muss stimmen und leider trifft das ja nicht mal auf bestimmte, deutlich teurer Marken zu, drum immer Augen auf!
Bei Lebensmitteln dagegen wird es deutlich schwerer. Gerade durch die unfassbar dreisten Tricksereien der Industrie, wie z. B. das Erfinden neuer Namen um fragwürdige Inhaltstoffe zu verbergen. Dann noch die umständlichen Angabe was denn nun wie viele Kalorien oder Fett hat et cetera. Da sollte doch endlich mal der Verbraucherschutz mehr Macht vom Staat bekommen um das zu verhindern. Ich kann es einfach nicht nachvollziehen, dass man selbst bei Lebensmitteln, die jeder von uns braucht und täglich isst, so unfassbar dreist die Leute verarschen darf.
Und dann noch eine Nachteil, den ich hier im Artikel nicht gefunden habe (wenn er auch nicht unbedingt zur Entscheidung beiträgt) : Durch die grenzenlose Masse an Produkten, die wundervolle Werbung! Man kann heute ja fast nichts mehr machen ohne am Tag zigtausende langweilige, uneinfallsreiche und einfach nervige Werbung oder Werbeanzeigen zu sehen/hören.
Briefkasten auf… Werbung, Tv an … Werbung, Radio … Werbung. Im Internet auch immer schlimmer z. B. bei namenhaften Social Media Portalen oder noch schlimmer bei Diensten für Online Videos bei welchen dann noch mal schön vor der Clip was kommt? Richtig eine tolle Werbeanzeige, die man wahrscheinlich schon auswendig kann.
In diesem Sinne, vlt. einfach mal öfter dem Bauchgefühl folgen. ;)
Bei der Qual der Wahl kann gelegentlich auch die 3-Sekunden-Regel helfen. Meistens hat man sich bereits in den ersten wenigen Sekunden für eine Option aus beliebig vielen entschieden – und das unterbewusst. Daher ist der letzte Schritt diese Entscheidung bewusst zu machen, indem man sie begeht. Der Bauch hat selten unrecht, vorausgesetzt man ist auf dem jeweiligen Gebiet etwas vetraut.