Prost!
Für einen guten Wein braucht man keinen Anlass
Oft kommen Kunden oder Fremde in unseren kleinen Weinladen Planet Wein am Gendarmenmarkt in Berlin und haben selbst eine Flasche Wein dabei, bekannte oder unbekannte Tropfen. Alle diese Weine und ihre Besitzer haben eine Geschichte, wie sie zueinander gefunden haben. Manchmal möchten die Besitzer diese Weine veräußern oder zumindest den Wert der Flasche erfragen. Allerdings wird ein seriöser Weinhändler nie einen Wein, schon gar nicht eine Einzelflasche kaufen, ohne um die genaue Herkunft zu wissen, jedenfalls nicht für den Weiterverkauf. Manchmal greift man dennoch zu, und öffnet den Wein auf einer Verkostung oder einfach so aus Interesse, also auf eigenes Risiko und leider wird man auch oft enttäuscht.
Viele dieser Besucher wollen eben einfach den Wert des Weines wissen, ob er noch trinkbar ist und ob und wann sie ihn öffnen sollen. Manchmal ist das einfach. Zum Beispiel kann man bei jungen, bekannten Weinen davon ausgehen, dass sie weder überlagert noch über eine entscheidend lange Zeit falsch gelagert wurden. Und da sie bekannt sind, gibt es auch einen relativ leicht zu taxierenden Wert. Schwerer wird es bei alten oder unbekannten Weinen, bei denen die Chance besteht, lange unsachgemäß gelagert worden zu sein, oder die aus unbekannten Regionen oder von so kleinen Produzenten kommen, dass man sie weder in Büchern noch im Internet wiederfindet.
Die „Grand Crux“ mit der Erwartungshaltung – sie ist der größte Feind eines Genussmomentes
Den meisten Besuchern, die mit Ihren Fundstücken und Geschenken zu mir kommen und Rat suchen, kann ich helfen. Ich sage ihnen, sie sollen den Wein so schnell wie möglich trinken, denn es gibt keine bessere Möglichkeit den Inhalt zu erfahren. Ich gehe sogar noch weiter und rate ihnen auf gar keinen Fall einen besonderen Moment abzuwarten um das vermeintliche Schmuckstück zu öffnen, denn der größte Feind eines Genussmomentes ist die Erwartungshaltung. Ich empfehle also, an einem Tag der weder ein eigener runder Geburtstag noch ein sonstiger Jubeltag ist – vielleicht einfach an einem Tag, der zum Abschluss einen guten Tropfen verdient hat – diese Flasche aufzumachen. In den allermeisten Fällen bekomme auf diesen Ratschlag später positive Resonanz, denn es gibt kaum ein schöneres Erlebnis, als sich von einer guten Flasche Wein überraschen zu lassen, vor allem wenn man sie sowieso gefunden oder geschenkt bekommen hat. So baut man eine – wenn auch kurze – freundschaftliche Beziehung zu genau dieser Flasche auf, ein Wein-Quicky sozusagen, denn diese Flaschen sind meistens nicht mehr nachzukaufen – und wenn, wäre es ja auch nicht mehr derselbe Genussmoment. Zu viel Ehrfurcht oder der Versuch Kapital aus dem Fund oder Geschenk zu schlagen sind vom genießerischen Standpunkt nur kontraproduktiv. Allerdings ist es ratsam für den Fall, dass diese Flasche doch nicht mehr schmackhaft ist eine andere, gute Flasche in der Hinterhand zu haben.
1996er Chateau La Tour Carnet ein Wein für alle Fälle
Dafür eignet sich zum Beispiel ganz hervorragend ein 1996er Chateau La Tour Carnet. Das Weingut liegt in der Gemeinde Saint-Laurent im Médoc. Der Ursprung geht auf das 13. Jahrhundert zurück. Im Jahre 1427 verschenkte Jean de Foix den Besitz an seinen Stallmeister Carnet, der ihm den Namen gab. Nach wechselvoller Geschichte mit vielen Besitzern ging es 1962 in die Hände der Familie Lipschitz. Seit 1999 ist es in Besitz von Bernard Magrez, dem auch das Château Pape-Clément gehört. Bei der Bordeaux-Klassifizierung 1855 erhielt es den vierten Rang (Quatrième Cru Classé). Die Weinberge mit 40 Hektar Rebfläche sind mit Cabernet Sauvignon (53%), Merlot (33%), Cabernet Franc (10%) und Petit Verdot (4%) bestockt. Der langlebige Rotwein wird 12 bis 18 Monate in zu 60 Prozent neuen Eichenfässern ausgebaut.
Der 1996er Chateau La Tour Carnetduftet nach Brombeere und Cassis und hat eine schöne Röstnote vom Barriqueausbau. Am Gaumen zeigt er sich gut balanciert mit mittlerem Körper und feinen Gerbstoffen. Momentan auf dem Höhepunkt und doch noch einige Jahre lagerfähig.
Über den Autor
»In München geboren – in der Welt zu Hause.« Mit diesem Vorsatz zog der im Bayrischen Wald aufgewachsene, und im schönen Regensburg nach einigen Semestern Geographie und Politologie der Universität entronnene Matthias Martens nach seiner Lehre zum Hotelfachmann in die weite Welt. Seine Liebe zum Wein war schon lange entbrannt und nach Lehr- und Wanderjahren in der Gastronomie erkor er Berlin als seine Wahlheimat aus. Heute führt er mit seiner Frau Anja Schröder einen der schönsten und bestsortierten Weinladen der Hauptstadt: Planet Wein am Gendarmenmarkt.
Mann muss probieren,probieren und probieren. Ohne probieren geht es nicht. Viele Urlauber die Ihren Lieblingswein aus dem Urlaub mitbringen sind entäuscht, weil der Wein ganz anders schmeckt als im Urlaub. Das hat viele Gründe. Im Urlaub ist die Umgeben anders. Das Klima ist anders. Die Gläser sind anders. Das sind nur drei Faktoren die den Genuss von Weinen trüben oder verfeinern können.
Druß Mike
Ein guter Wein is hard to fin(d).
danke für diesen ausführlichen Beitrag, …ich muss immer lesen und meine Frau kosten ..irgendwie gemein :-)
Das erste mal wo ich richtig guten Wein geniessen durfte, war ein Geschenk von einem guten Bekannten, seitdem weis ich das man sich einfach Zeit zum geniessen nehmen sollte ,wenn einem selbst danach ist und nicht wenn man dazu „genötigt“ wird
Toller Artikel. Gleich mal bestellt ;)
Ich stimme voll und ganz zu! Wein hat seinen eigenen Stil und ist somit ist er Anlass allein
Wie recht er doch hat und wie schön ist es Herrn Martens bei seinen Geschichten aus der Weinwelt zu begleiten.
Das Problem der Lagerung lässt sich übrigens bald, in der Hauptstadt, auf eine sehr schöne Art und Weise lösen … (mehr dazu später)
Der 1996er Chateau La Tour Carnet ist große klasse und funktioniert auch hervorragend ohne jegliche Begleiter …
Hallo, der Artikel entspricht voll dem Wissen und Können von Matthias Martens!
Ich habe ihn sowohl in kleinen+geselligen Weinrunden, wie aber auch beim Essen+Genießen im
*-Restaurant kennen -und schätzen gelernt.
In seiner ihm eigenen Art präsentiert er sein Fachwissen und seine Erfahrung, läßt aber seinem
„Gegenüber“ immer soviel Raum, dass dieser sich gut aufgehoben fühlt. Das ist in einer Welt, wo jeder alles besser weiß und belehrt, selten geworden!
Weiterhin wünsche ich Matthias Martens als Sommelier und Weinhändler viel Erfolg und FORTUNE!!!
Ein toller Artikel, dessen Quintessenz in der Überschrift gleich richtig zusammengefasst ist. Schön, dass mal wieder jemand diese banale aber tolle Wahrheit betont.