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Zwischen Dandytum & Popliteratur – Christian Krachts »Die Toten«

Zwischen Dandytum & Popliteratur – Christian Krachts »Die Toten«

Was hatte man ihn nicht schon alles genannt? Begründer der Popliteratur, Nacheiferer Thomas Manns, Propagandist rassistischer Ideen und immer wieder auch einen Literatur-Dandy. Doch nach wie vor entzieht sich Bestseller-Autor Christian Kracht durch konsequente Ironie einer jeden Kategorisierung. Gastautor Veit Lehmann stellt Krachts neuen Roman »Die Toten« im Gentleman-Blog vor.

Der Unfassbare – Autor Christian Kracht

»Aber was will Kracht uns damit sagen?« lautete zuletzt die verzweifelt naive Frage des Feuilletonisten in der Frankfurter Rundschau und da die Antwort in Krachts Werk nicht zu finden war, wurde sie in seiner Person gesucht. Nur wenige Autoren der Gegenwartsliteratur wurden so aufmerksam beschaut wie Christian Kracht: »Da schreibt ein widerlich arroganter Schnösel« urteilt der Züricher Tagesanzeiger bereits 1995 und auch 2016 steht der Schriftsteller selbst im Zentrum der Aufmerksamkeit: »(Man) muss hier erst mal mit dem Mann beginnen, um zum Werk zu kommen. Genauer: mit dem Dandy mit den immer einen Hauch nachlässig getragenen feinen Schals und Tweedsakkos.« (SZ, 08.09.2016)

Und was tut der schnöselige Dandy-Literat? Er schweigt. Und wenn er doch einmal eines seiner raren Interviews gibt, klingt das so:

Denis Scheck: Kommen Sie sich manchmal vor wie ein Ovid im augustinischen Zeitalter?

Christian Kracht: Ich komme mir manchmal vor wie ein Amerikaner im ähm, und ja. Doch.

Kracht beherrscht die Volte spielerisch; man kann ihn nicht treffen. Manchmal wirft er dann den Kritikern selber Deutungsangebote hin: »Ich wollte Maler werden (…) Ich hatte mich dann immer angezogen wie ein Maler. Ich hatte einen Overall an mit Farbflecken überall, die ich mir sorgsam morgens aufgemalt habe und konnte aber nicht malen. Ich war eher ein Malerdarsteller.«

Popliterat, Künstler & Dandy

Auch seine Vita schafft kein klareres Urteil. Geboren 1966 in Saanen in der Schweiz wuchs Kracht in den USA, Kanada und Südfrankreich auf und arbeitete seit 1991 fast ausschließlich für deutsche Magazine und Zeitungen. Mit seinem Debutroman »Faserland« gelang ihm 1995 der Durchbruch auf dem deutschsprachigen Buchmarkt und gleichzeitig die Etablierung als Popliterat. Der Ich-Erzähler des Romans reist in Krachts erstem Werk von Sylt aus relativ ziellos, dafür zunehmend betrunkener durch die Bundesrepublik, um am Ende auf dem Zürichsee zu enden.

In der Kritik war dennoch meist von einer »Deutschlandreise« zu lesen. Was ist nun also dieser Kracht, Deutscher oder Schweizer, ironisch oder ernst, trunken oder nüchtern, würde die Frankfurter Rundschau fragen. Die Antwort ist einfach und war überdies bereits bekannt: Kracht ist Dandy.

Der Grund für die Blindheit des öffentlichen Urteils dieser so offensichtlichen Wahrheit gegenüber mag darin liegen, dass das Image eines »Dandys« häufig lediglich mit äußerlichen Attributen wie feinen Schals und Tweed-Sakkos beschrieben wurde. Krachts eigentliches Dandytum liegt aber tatsächlich in seinem Werk begründet, dem wir uns nun durch seinen neuesten Roman nähern wollen: »Die Toten«.

Japanische Theaterkunst vs. Historienroman

Wie bereits in den vergangenen Jahren widmet sich Kracht einem historischen Thema und zwar dem Film der 30er Jahre in Japan, Deutschland und der Schweiz. Und genau genommen weist das Werk viel eher Ähnlichkeiten mit einem Drehbuch als einem Roman auf. »Jo«, »Ha« und »Kiu« heißen die drei Teile des Buches und folgen damit dem Muster des japanischen No-Theaters, dessen traditionelle Sprache und Musik nicht mit dem bislang noch stummen Medium Film konkurrieren müssen.

Stumm bleiben auch die drei Protagonisten: Der auktoriale Erzähler legt ihnen nicht einen einzigen Dialog in den Mund, sondern beschreibt mit ironischer Distanz das Geschehen. Da wäre zuerst Emil Nägeli, ein mittelalter Schweizer Filmemacher, der in einer Sinn- und Lebenskrise steckt und der auf für ihn verborgenen Wegen für eine Filmkooperation zwischen dem imperialistischen Japan und der faschistischen UFA gewonnen werden soll.

Auf der anderen Seite des Globus sitzt Masahiko Amakasu und betrachtet einen Stummfilm, der die Deutschen von der »zelluloidenen Achse« zwischen den beiden Ländern überzeugen und zur unausgesprochenen Klammer werden soll, die das Buch zusammenhält. Amakasu ist jung, hochintelligent und der Welt seltsam entrückt. Er ist es, von dem man als erstes ahnen wird, dass der Buchtitel mehr als ein Spiel mit der Mystik ist.

Zuletzt betritt Ida von Üxküll (schwedischer oder vielleicht baltischer Adel, so erfährt man) die Bühne. Ida ist die lebensfrohe und attraktive Verlobte Nägelis und steht von allen drei Protagonisten am sichersten in einem Leben, dessen Todesahnung auf der gesamten Erzählung liegt. Todesahnung und Schicksal sind bestimmende Elemente der Geschichte und so reist der Strudel des -ha-, dem zweiten Akt des No-Theaters, die Protagonisten in einen Malstrom, aus dem nur eine Person wieder auftauchen soll.

Hollywood, No-Theater & das Dritte Reich

Geschickt verwebt, eben nicht als Anreicherung geschrieben, sind die zahlreichen historischen Persönlichkeiten, die auf der Bühne erscheinen. Die Filmkritikerin Lotte Eisner verführt Nägeli in einer durchzechten Nacht zum Scheinbund mit dem »garstigen Schwein« Hugenberg und Heinz Rühmann hat sein Gastdebüt ebenso wie Charlie Chaplin, der in Tokio einem historisch verbrieften Mordanschlag entgeht und später, allerdings unbelegt, selber zum Mörder werden wird.

Wollten wir uns nun erneut mit der unseligen Frage – »Doch was will uns der Autor damit sagen?« – an das Stück wagen, so hätten wir unsere liebe Mühe. Hoffnungsvoll mag man sich auf Nägeli beziehen. Der ist Schweizer, arbeitet für die Deutschen und erinnert mit seinen »hellblonden Haaren«, von denen »eine langgewachsene Strähne« benutzt wird, um sie »von der Schläfe her seitwärts über die so verleugnete Glatze herüber zu kämmen«, ein wenig an einen rascher gealterten Kracht.

Selbst der Verweis auf seine enttäuschenden Qualitäten als Liebhaber mag noch als schonungsloser Exhibitionismus gewertet werden. In Nägeli indes Krachts Alter Ego zu sehen, ist zwar verlockend und hieße doch nur, auf den Krachtschen doppelten Boden hereinzufallen. Denn so verräterisch ähnlich Nägeli dem Autor Kracht auch sein mag, so wenig passt seine künstlerische Impotenz zum Verfasser, der hierin – ganz »widerlich arroganter Schnösel« – sein Können durch den ironischen Kunstgriff noch einmal präsentiert.

Von der Überwindung des Dandytums

Überhaupt spielt Christian Kracht mit den »Romananalytikern«, die bei der zweiten Erwähnung eines ominösen »violetten Bleistifts« noch aufgeregt das Symbol zu entschlüsseln suchen, spätestens aber bei der vierten Wiederholung entnervt aufgeben, ob der schieren Zeichendichte. Hier blitzt nun hervor, was eigentlich mit Krachts Dandytum gemeint gewesen sein mag: Das ständige Spiel mit der Ironie, dem nonchalanten Reisen durch verschiedene Zeiten und Kulturkreise und dem blasierten Fallenlassen von Begriffen wie »eikyo«, »was mit Einfluß leider nur halbwegs zu übersetzen« sei .

Auch lässige Todesverachtung gehört zur Qualität des Dandys, wenn vom gefilmten Seppuku eines japanischen Offiziers geschrieben wird: »Es sah aus, als sei das kirschrote Blut mittels eines Pinsels, den der Künstler mit einer einzigen, peitschenhaften Bewegung aus dem Handgelenk ausgeschüttelt hatte, absichtlich quer über die kakejiku geklatscht worden, die dort in erlesener Einfachheit im Alkoven hing.«

Es ist dieser initial gefilmte Selbstmord, in dem Kracht sein Können unter Beweis stellt und zeigt, dass er zu mehr fähig ist, als den Schrecken ironisch zu ästhetisieren: »Es gab bestimmte Dinge, die man nicht abbilden durfte, nicht vervielfältigen, es gab Geschehnisse, an denen wir uns mitschuldig machten, wenn wir deren Wiedergabe betrachteten, es war genug gewesen, es war alles da.« Das schreibt der Autor, der das Dandytum überwunden hat.

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